12.02.2024 •

    „You´ll never walk alone“

    Zwischen OP-Saal und Rettungshubschrauber

    L. Mai

    Tätigkeit im Operationssaal
    Bundeswehr/Constanze Witzel

    Einleitung

    Nur wenige tausend Kilometer von uns entfernt herrscht Krieg. Für das eigene Gefühl, als junge Chirurgin, war es lange eine sehr entfernte Bedrohung. Doch das ist es nicht mehr.  

    In Anbetracht der aktuellen politischen Lage und der weltweiten Konflikte spielt die umfassende Ausbildung zur Militärmedizinerin oder zum Militärmediziner mit chirurgischen und notfallmedizinischen Kompetenzen eine immer größere Rolle.  

    Seit Beginn meiner Weiterbildung in Hamburg zur Chirurgin im Jahr 2020 bin ich festen Willens Einsatzchirurgin zu werden. Hierfür möchte ich neben der bundeswehrinternen Rettungsmedizinausbildung – die Ausbildungs- und Tätigkeitsnummer (ATN) Rettungsmedizin – auch die zivilen Voraussetzungen für die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin erfüllen.  

    Die jüngsten Zahlen aus dem bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine haben schmerzlich gezeigt, dass weiterhin Blutungen sowie Kopf-/Halstraumata Haupttodesursache gefallener Soldaten darstellen. Ein schnelles und sicheres Management solcher Verwundungen ist für die Betroffenen überlebensnotwendig. Die Fächer der Notfallmedizin und Chirurgie stehen hier, aus meiner Sicht, ganz klar im Fokus. Ein hoher Motivator für mich die Ausbildung zur Einsatzchirurgin und Notfallmedizinerin zu vollenden. 

    Die Arbeit im Operationssaal

    Ganz zu Beginn meiner ärztlichen Weiterbildung, nach Abschluss des Studiums an der medizinischen Fakultät Hamburg, habe ich mich meiner Wunschfachrichtung, der Chirurgie, zugewendet. Der Operationssaal wurde zu meinem zweiten zu Hause. Ich musste lernen – und lerne immer noch – unter Druck präzise zu arbeiten. Für viele PatientInnen sowie deren Angehörige ist man plötzlich die erste Ansprechpartnerin, bereitet auf Eingriffe vor und führt eigenständig kleinere operative Maßnahmen durch.  

    Insgesamt musste der Grundsatz „Primum non Nocere“ („Erstens nicht schaden“) mit dem bewährten „learning by doing“ in Einklang gebracht werden. Dies stellte mich selbst, und sicherlich auch die schützenden Hände meiner Weiterbildenden, vor ethische Fragen.  Studien, wie zum Beispiel die Arbeit von D’Souza und Mitarbeitern. zeigten in der Vergangenheit, dass durch AssistenzärztInnen mit Supervision von Fachärzten durchgeführte und vorab sorgfältig ausgewählte Eingriffe zu keiner erhöhten Komplikationsrate führen. Aus meiner Sicht beruhigend.

    Um jedoch auch notfallmedizinisch fachlich breit aufgestellt und für den Ernstfall gewappnet zu sein, wurde es mir, wie auch jedem anderen jungen Sanitätsoffizier, ermöglicht, die ATN Rettungsmedizin zu erlangen. Zusätzlich ist es für jeden möglich, auch die zivil anerkannte Zusatzweiterbildung Notfallmedizin zu erwerben. Zu dieser Ausbildung gehören u. a. ein Rettungsmedizinkurs, „Trittbrettfahrten“ (Notarzteinsätze unter Supervision) und Intubationen. Ein Unterschied zwischen der ATN Rettungsmedizin und der zivilen Zusatzweiterbildung Notfallmedizin ist z. B. ein erweiterter Ausbildungsanteil zur speziell militärischer Verwundetenversorgung.  

    An der Seite von erfahrenen Kollegen erlernte ich das Management von polytraumatisierten Patienten im Rahmen des „ATLS-Konzeptes“ (Advanced Trauma Life Support), konnte Ängste beruhigen und in letzter Konsequenz meinen PatientInnen in ihrer verletzlichsten Phase beistehen. Mein Arbeitsleben wurde somit nicht nur auf den Operationsaal, die Station und die Notaufnahme beschränkt, sondern auch auf die Straßen Hamburgs verlagert.  

    Um sich auf einen militärischen Einsatz vorzubereiten, muss man bekanntlich seine Komfortzone verlassen und aus meiner Sicht ist hierzu in Deutschland nichts besser geeignet als das kunterbunte und teilweise raue Pflaster Hamburgs. In einigen Fällen sind dabei die Erkrankungs- und Verletzungsmuster der Militärmedizin weit entfernt und dennoch hatte ich immer das Gefühl aus jeder Alarmierung etwas für mich mitgenommen zu haben.

    Notfallmedizinische Tätigkeit

    Ich bin ein kleiner Teil des professionellen Teams „Rettungszentrum BwKrhs Hamburg“ geworden, welches rund um die Uhr bereitsteht, um bei Unfällen, akuten Erkrankungen und anderen Notfällen schnelle Hilfe zu leisten. Man lernt blitzschnell Entscheidungen zu treffen oder auch lebensrettende Maßnahmen zu ergreifen, um die PatientIn stabilisiert in die nächste Klinik zu bringen. 

    Diese Rettungskette ist der militärischen Rettungskette ähnlich. Vom „Point of Injury“, wo die ersten Akutmaßnahmen am Verwundeten ergriffen werden, über den „CCP“ (Casualty Collecting Point) mit weiterer Stabilisierung des Verwundeten bis hin zur „Rolle 1“ bzw. „Role 2“ zur weiteren Behandlung.  

    Wirklich hilfreich in der Ausbildung war und ist für mich das Training durch Simulation. Das BwKrhs Hamburg bietet hierfür einen umfassenden Notarztsimulationskurs (NaSim-Kurs) an, der es evidenzbasiert ermöglicht, Handlungskompetenz, Sicherheit und Selbstvertrauen zu erlangen. Neben fachlichem Unterricht und technischer Ausbildungen z. B. am Intubationssimulator, standen bei diesem NaSim-Kurs die Simulationen klinischer Fälle im Vordergrund, sowie das große Feld des Crew Ressource Managements - „Kenne deine KollegInnen, kenne dein Arbeitsumfeld, kommuniziere verständlich im closed loop“ und Vieles mehr. Das Erlernen von Algorithmen in der Gesprächsführung und die damit vermittelten ethischen Inhalte waren für mich außerdem überaus wertvoll, um personelle, materielle aber auch persönliche Ressourcen zu nutzen und einzubringen. Insgesamt wichtige Lehren, die mir bereits jetzt angespannte Situationen sowohl in der Notfallversorgung als auch im klinischen Alltag erleichtern. 

    Im Kontext der weltweit politisch angespannten Lage, muss eine permanente Einsatzfähigkeit und schnelle Verfügbarkeit für Einsätze eines jeden Sanitätsoffiziers vorausgesetzt werden können. Das BwKrhs Hamburg bietet in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ein bundesweit einzigartiges Wahlpflichtfach für Medizinstudenten, dass der Katastrophenmedizin. Dessen Inhalte zielen auf die oben genannten Voraussetzungen ab. Aktuelle Planungen dieses Konzept auch in die Ausbildung aller Sanitätsoffiziere zu integrieren sind, meiner Meinung nach, äußerst erstrebenswert. Es bereitet junge Sanitätsoffiziere wie mich auf ungewöhnliche Situationen vor, beispielsweise unter extremen Bedingungen effizient arbeiten zu müssen.  

    Zusätzlich sollten die fortschreitende Digitalisierung und die stetige rasante Entwicklung der Medizin ebenfalls in die Aus- und Weiterbildung der MilitärmedizinerInnen einfließen. Welchen wichtigen Stellenwert die Telemedizin bereits hat, zeigt sich im medizinischen Alltag durch die Nutzung des „blauen Telefons“. Dieses Telefon bietet KameradInnen auf See die Möglichkeit bei akuten Fragen mit NotfallmedizinerInnen des BwKrhs Hamburg fachlich in Kontakt zu treten. Als Chirurgin vom Dienst in der interdisziplinären Notaufnahme konnte ich so per Telefon zur Seite stehen. Meiner Erfahrung nach immer verbunden mit einer absoluten Dankbarkeit am anderen Ende der Leitung an Bord. 

    Doch bei all dieser umfassenden Ausbildung gibt es auch immer diese besonderen Momente, die einem im Gedächtnis bleiben. 

    Und dann war er da, der Tag, an dem ich in behüteter Umgebung auf den „Christoph 29“ mit aufsitzen durfte. Ich hatte das Privileg einige Tage die Einsätze der Crew begleiten und diese, mit Unterstützung eines erfahrenen Notarztes, teilweise auch leiten zu dürfen. Es war erstaunlich für mich zu sehen, wie die eigenen Hemmungen und ehrlicherweise auch Ängste, durch die in höchstem Maße ausgebildete Crew genommen werden konnten. Sicherheitseinweisungen, eingespielte Abläufe und die immense Erfahrung des Teams vermittelten Sicherheit. Schon nach einigen Einsatzflügen wurde ich merklich ruhiger, die große Freude wie zu Beginn blieb jedoch. Eine Erfahrung, die ich sehr gerne zuerst einmal hier im sicheren Deutschland, unter kontrollierten Bedingungen und mit Supervision gemacht habe. Anders gesagt, eine sehr gute Vorbereitung für Einsätze in Krise und Krieg und dafür zu lernen, in den Notfällen die eigenen Entscheidungen zu treffen. 

    Blick aus dem Rettungshubschrauber Christoph-29 während eines Einsatzes
    Blick aus dem Rettungshubschrauber Christoph-29 während eines Einsatzes
    Quelle: Bundeswehr/Laureen Mai

    Fazit

    Ich bin nun seit 2014 Soldatin und durfte schon jetzt viele Erfahrungen sammeln. Ich möchte aus diesen Lehren dankbar meine Schlüsse ziehen und diese in die Ausbildung jüngerer KameradInnen einfließen lassen, Unterstützung in schwierigen und komplexen Situationen bieten, wie sie auch mir durch meine Abteilung, meine MentorInnen und durch unser Krankenhaus zu Teil wurde.  Am Ende ist es für mich als Weiterbildungsassistentin gut gewesen, die Sicherheit zu haben, während meiner Arbeit immer jemanden gehabt zu haben, auf den ich zurückgreifen konnte. Um meinen klinischen Direktor und das Stadionlied des FC St. Pauli zu zitieren „You´ll never walk alone“. 

    Mir zeigt jeder Arbeitstag aufs Neue, dass ich einfach den besten Job der Welt habe.



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