18.09.2017 •

Aus kritischen Ereignissen lernen - ­Optimierung der Behandlungsqualität durch Wissenstransfer

Aus der Unterabteilung III Zahnmedizin (Unterabteilungsleiter: Flottenarzt Dr. H. Bieber) der Abteilung A (Abteilungsleiter: Generalarzt B. Most) des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (Befehls­haber und Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr: Generaloberstabsarzt Dr. M. Tempel)

E. Holzenburg

Um die zahnmedizinische Versorgung von Soldatinnen und Soldaten stetig zu verbessern, bedarf es sowohl einer qualitäts- und auftragsorientierten fachlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung der Sanitätsoffiziere Zahnarzt und des Fachpersonals, als auch einer permanenten Evaluation von Behandlungs- und Arbeitsabläufen.

Qualitätsmanagement

Die permanente Optimierung der Behandlungsqualität ist ein wesentlicher Aspekt in der kurativen Ausübung der Zahnheilkunde. Über einen langen Zeitraum kamen dabei auf die Luftfahrt zurückzuführende Checklisten und Handbücher zum Einsatz. Andererseits wurde in der Medizin häufig ein wenig evidenzbasierter Qualitäts­sicherungsansatz verfolgt. Diese Zeiten sind (glücklicherweise) lange vorbei und patientenorientierte Entscheidungen werden prinzipiell auf der Grundlage von empirisch nachgewiesener Wirksamkeit getroffen. Die Implementierung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements (QM) wurde mit § 135a des Sozialgesetzbuches V für vertragszahnärztliche Behandlungseinrichtungen verbindlich vorgeschrieben und die geforderte Richtlinie vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossen. Die re­gio­nalen zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen der Bundeswehr (zäBehEinrBw) unterliegen jedoch, wie die gesamte unentgeltliche truppenärztliche Versorgung, nicht den Regularien des gesetzlichen Krankenversicherungssystems. Gleichwohl wurde 2006 die Einführung von QM auch in regionalen Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr angewiesen. Somit gelten für Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der ambulanten medizinischen Versorgung hohe qualitative Kriterien.

Als Grundgedanke einer nach wissenschaft­lichen Gesichtspunkten ausgerichteten Behandlung, im Sinne eines synoptischen Behandlungskonzeptes, kann die verbindliche Priorisierung von Behandlungsmaßnahmen in der Therapieabfolge durch den damaligen Inspizienten Zahnmedizin, Admiralarzt Dr. Nordholz gesehen werden. Des Weiteren stellten verbindliche Regelungen in den Zentralen Dienstvorschriften allgemeingültige Abläufe im Sinne eines QM dar. Bis zu einem umfassenden, einrichtungsinternen und einrichtungsindividuellen QM-Konzept, welches unter anderem Aspekte der Hy­gie­ne, des Notfallmanagements und eines Fehler- und Risikomanagements berücksichtigt, war es jedoch noch ein weiter Weg. Mit der „Richtlinie für das Qualitätsmanagement in der zahnärztlichen Versorgung in der Bundeswehr“ wurde zur Jahrtausendwende ein verbindlicher Grundstein für die Einführung eines QM-Systems im Fachbereich Zahnmedizin gelegt.

Die seitdem angewandten QM-Systeme waren von unterschiedlicher Aussagekraft und teilweise abhängig von der intrinsischen Motivation der Anwender. Da sich die gesetzlichen Vorgaben im zivilen Bereich immer mehr verschärften, wurde als internetbasiertes QM-System, das „Zahnärztliche Qualitätsmanagementsystem“ (Z-QMS) eingeführt.  Dies wurde unter Federführung der Zahnärztekammern Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz entwickelt, der Fachbereich Zahnmedizin der Bundeswehr ist seit 2012 daran beteiligt. Z-QMS ist seit Juni 2016 durch zäBehEinrBw zu nutzen, speziell auf die Anforderungen der ambulanten zahnärzt­lichen Versorgung zugeschnitten und ein Mittel, die Forderungen des § 135a Abs. II SGB V umzusetzen.

Fehler/kritische Ereignisse

Fehler sind nicht beabsichtigte bzw. oft nicht erwartete, unerwünschte Ereignisse auf Grund einer bewusst oder unbewusst ausgeführten oder unterlassenen Handlung. Der Begriff „Behandlungsfehler“ wird hierbei absichtlich vermieden, da er von Behandlern und Patienten unterschiedlich interpretiert wird und einen Rechtsbegriff darstellt. Im AOK-Krankenhausreport von 2014 wurden unerwünschte Ereignisse mit einem Anteil von fünf bis zehn Prozent registriert. Die Auswertung von Meldungen aus Hausarztpraxen in einer 2003 publizierten, internationalen Studie zeigte, dass von allen gemeldeten Fehlern ca. 80 % Prozess- und nur 20 % Wissens- und Fertigkeitsmängel waren. Damit wird klar, dass viele unerwünschte Ereignisse ihre Ursache in der Praxisadministration, Dokumentation oder (Patienten-) Kommunikation haben und durch ein konsequent umgesetztes QM reduziert werden können. Die Verbesserung sowie Anpassung von organisatorischen Abläufen, die Erhöhung der Qualifikation des Personals und eine umfassende Patientenaufklärung sind hier nur einige, beispielhafte Korrekturmöglichkeiten. Im Umgang mit Fehlern ist nicht allein deren Korrektur, sondern auch die Vermeidung aber auch die Prävention potenzieller Ursachen und Risiken sinnvoll.

CIRS

Photo
Abb. 1: Logo „CIRS dent“. (Abb.: BZÄK/KZBV)
Das Lernen aus (beinahe) Fehlern und kritischen Ereignissen ist in einem einrichtungsinternen Qualitätsmanagementsystem wie Z-QMS, ohne Austausch mit anderen Kollegen und dem entsprechenden Lernen durch die Erfahrungen anderer Behandler nur stark eingeschränkt möglich. Eine offene, kollegiale Kommunikation von kritischen Ereignissen mit Kollegen ist jedoch häufig mit Scheu und der Befürchtung verbunden, dass die berichteten „Delikte“ nicht im Sinne der Sache weiterverbreitet werden, sondern der persönlichen Profilierung dienen. Mit der Einführung eines Critical Incident Reporting System (CIRS) in der Medizin wurde wieder die Luftfahrtindustrie als Beispiel genommen, um Fehler einzelner in Erfahrungen vieler umzuwandeln.

Die Meldung in einem CIRS ersetzt nicht die gegebenenfalls notwendige Meldung eines kritischen Ereignisses (z. B. bei Schadenersatzansprüchen, meldepflichtigen/aufklärungspflichtigen Vorkommnissen oder strafanzeigewürdigem Verhalten), sondern dient anonymisiert dem Lernen aus Fehlern, Missgeschicken und verbesserungswürdigen Verfahrensabläufen. Dabei dient das anonyme Einstellen von Berichten – auch bei schwerwiegenden kritischen Ereignissen – als Grundlage für einen offenen Austausch.

Bereits im Jahre 2004 entwickelte das Institut für Allgemeinmedizin der Johann Wolfgang ­Goethe-Universität in Frankfurt/Main ein Fehlerberichts- und Lernsystem für Hausarzt­praxen, welches bis zum heutigen Zeitpunkt online genutzt wird („www.jeder-fehler-zählt.de“) und damit als ältestes deutsches medizinisches Fehlermeldesystem gilt. In den Bundeswehrkrankenhäusern, die auch an der zivilen medizinischen Versorgung teilnehmen und somit den Regularien des 5. Sozialgesetzbuches unterliegen, wurde bereits vor einigen Jahren auf der Grundlage des § 135a SGB V das Fehlermeldesystem „B4“ eingeführt.

Mit der Einführung von „CIRS dent - Jeder Zahn zählt!“ im Januar 2016 haben nun auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) ein internetbasiertes Berichts- und Lernsystem zur Verfügung gestellt. „CIRS dent“ erfüllt alle grundsätzlichen Anforderungen, die der G-BA an ein einrichtungsinternes QM für Risikomanagement- und Fehlermeldesysteme stellt und erfüllt ferner die Forderungen nach einem QM mit Fehlermeldesystem in den zahnärztlichen Behandlungseinrichtungen der Bundeswehr. Zahnärztinnen und Zahnärzte können auf dieser Plattform freiwillig und anonym unerwünschte Ereignisse berichten oder Erfahrungen mit anderen Zahnärzten austauschen. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf verursachende Bedingungen gerichtet. Gleichzeitig können Strate­gien zur Vermeidung von kritischen Ereignissen sowie zur Verbesserung der Patientensicherheit entwickelt werden.

Datenschutz/Registrierung

Nach ausführlichen Diskussionen mit Medizinrechtlern und Datenschutzbeauftragten von Seiten der BZÄK bzw. KZBV wurde das Konzept eines vollständig anonymen, freiwilligen Berichtssystems mit Zugang über das Internet gewählt. Durch technischen Ausschluss einer Identifizierung von Berichtenden und Patienten (beispielsweise werden keine IP-Adressen gespeichert) werden damit auch IT-sicherheitstechnische- sowie datenschutzrechtliche Vorgaben der Bundeswehr erfüllt. Zudem werden in jedem Bericht vor der Veröffentlichung aktiv Hinweise entfernt oder verändert, wenn diese eine Identifizierung von Beteiligten möglich machen könnten. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass bei der Berichterstellung typische „Bundeswehr-Vokabeln“ (z.  B. Neukrankenmeldezeit, Verwendungsfähigkeit oder „Auslands-90/5er“) vermieden werden sollten, obwohl diese gleichwohl durch Redakteure gelöscht werden würden.

Bislang war von Seiten des Redaktionsteams allerdings kein Eingreifen notwendig, da alle Autoren die Vorgaben zum Umgang mit Patienteninformationen, der Schweigepflicht (§ 203 StGB), aber auch mit dem Berufsrecht beachteten. Das bereits erwähnte Team analysiert die eingesandten Artikel, nimmt notwendige  Veränderungen vor, kommentiert den Bericht und gibt nach fachlicher Recherche erste Hinweise, die durch alle Nutzer eingesehen aber auch ergänzt werden können.

Der Berichterstatter ist ebenfalls nicht identifizierbar. Mit Hilfe eines nicht zuzuordnenden Registrierungsschlüssels erfolgt auf der Internetseite (www.cirsdent-jzz.de) die Anmeldung unter einem Pseudonym. Bei Berichten, zu denen die Fachberater eine Frage haben, erfolgt in der Berichtsdatenbank die Kennzeichnung mit einem „R“ für Rückfrage. Diese Rückfragen können nur vom Berichtenden bearbeitet werden, wenn er den eindeutigen Rückfragecode verwendet, der ihm am Ende seines Ursprungsberichts angezeigt wird und den das Fachberaterteam nicht kennt.

Berichtsdatenbank

Das Verfassen sowie Einsehen von Berichten ist nach erfolgter Registrierung für jeden Teilnehmer problemlos und einfach möglich. Derzeit sind über 100 Berichte eingestellt, was bezogen auf das Startdatum des Projektes ein guter Anfang ist. Die Themen umfassen ein breites Spektrum der zahnärztlichen Behandlungstätigkeit und liefern sowohl dem Berufsanfänger, als auch dem erfahrenen Behandler zahlreiche Tipps und Tricks. Beispielhaft sind im folgenden Schaukasten Berichtsthemen dargestellt, die nach kurzweiliger Lektüre zum Nachdenken anregen.

Übertragung auf die Bundeswehr

Im zivilen Sektor erhalten Zahnarztpraxen einen Registrierungsschlüssel pro Praxis. Damit ist das Lesen von Fehlerberichten und Lernen aus diesen, je nach Praxisorganisation, nur für einen eingeschränkten Personenkreis möglich. Hingegen wurden der Bundeswehr für alle aktiven, kurativ tätigen Zahnärzte Registrierungsschlüssel durch die BZÄK zur Verfügung gestellt. Somit ist der Lernprozess aus den Fehlern anderer für alle Sanitätsoffiziere Zahnarzt möglich. Selbstverständlich soll das Berichtssystem eine kameradschaftlich-konstruktive Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Kollegen nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Die Patientengesundheit ist unser oberstes Gut und die Versorgung sollte dementsprechend mit den zur Verfügung stehenden Mitteln weiter optimiert werden. „CIRS dent - Jeder Zahn zählt!“ ist ein leicht anwendbares Medium zur Optimierung der Behandlungsqualität, an dem sich rege beteiligt werden sollte. 

 

Anschrift für die Verfasser:

Oberstabsarzt Dr. Eric Holzenburg
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Unterabteilung III
Von-Kuhl-Straße 50, 56070 Koblenz
E-Mail: ericholzenburg@bundeswehr.org

Datum: 18.09.2017

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