17.04.2017 •

    Sich im Zweifel einfach für die Menschlichkeit entscheiden

    Interview mit Kommandeur Gesundheitseinrichtungen und Stellvertreter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generalstabsarzt Dr. Stephan Schoeps

    WM: Stichwort Re-Fokussierung. Nach mehr als 20 Jahren Ausrichtung des Sanitätsdienstes auf die unterschiedlichen Auslandseinsätze steht nun ein neuer Schwerpunkt in Richtung Landes und Bündnisverteidigung auf der militärischen Agenda. Welche Auswirkung hat dies auf den Sanitätsdienst und wie beabsichtigt der Sanitätsdienst, den Ansprüchen vornehmlich des Heeres personell und materiell gerecht zu werden?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Eigentlich ist die Landes- und Bünd­nis­ver­teidigung ja immer Auftrag der Bundeswehr, aufgrund der aktuell sicherheitspolitischer Entwicklungen ist in der Tat eine Refokussierung notwendig. Damit meine ich, dass nach Jahrzehnten der Konzentration auf Stabilisierungsoperationen nun Szenarien der Landes- und Bündnisverteidigung wieder an erster Stelle stehen.

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    Generalstabsarzt Dr. Stephan Schoeps im Gespräch mit dem Chefredakteur, Flottenarzt Dr. Volker Hartmann, und der Verlegerin, Heike Lange
    Stabilisierungsoperationen haben unsere jetzige Struktur entscheidend bestimmt. So sind beispielsweise auch die Krankenhäuser abgeleitet von den erforderlichen Einsatzstrukturen für Auslandseinsätze. Bei der Landes- und Bündnisverteidigung reden wir dann nicht mehr von Sanitätseinsatzverbänden, sondern hier werden wie in den 60er - 80er Jahren, Brigaden und Divisionen, also große Truppenformationen, mit Sanitätsbataillonen und -regimentern zu unterstützen sein. Das stellt den Sanitätsdienst vor erhebliche Herausforderungen, bedenken Sie nur den Umfang der möglicherweise eingesetzten Kräfte. Im Grunde sind das aber die Szenarien, mit denen ich noch in meinen Anfangsjahren als junger Oberstabsarzt im Territorialkommando Nord in Mönchengladbach täglich konfrontiert war.

    Um den Umfang dieses Anpassungsbedarfs genau beziffern zu können, müssen zunächst die Teilstreitkräfte ihrerseits den Kräfteansatz für das Szenario definieren, aus dem dann der sanitätsdienstliche Unterstützungsbedarf hergeleitet wird. Deshalb sind Ende letztes und Anfang dieses Jahres die Inspekteure des Heeres und der SKB zum Abgleich der bisherigen Einsatzgrundsätze und zu ersten weiterführenden Überlegungen bei uns gewesen. Gespräche mit den übrigen Inspekteuren folgen in Kürze. Konkret geht es darum, wieviele Truppen wir sanitätsdienstlich unter welchen Rahmenbedingungen zu versorgen haben. Erst daraus lässt sich ableiten, welche Kräfte und Mittel des Sanitätsdienstes künftig notwendig sein werden. Oder aber umgekehrt, Logistik und Sanitätsdienst definieren den Umfang der einzusetzenden Kräfte. Auch das ist aus meiner Sicht ein gutes Rational.  Jedoch ist nicht nur die Unterstützung der Truppen im Einsatz zu berücksichtigen, sondern auch die Aufrechterhaltung einer sanitätsdienstlichen Versorgung im Inland. Dazu gehören u.a. auch Anpassungen der Bundeswehrkrankenhäuser zur Sicherstellung einer ausreichend dimensionierten abschließenden Patientenversorgung. Um unser breites Leistungsangebot unter den neuen Rahmenbedingungen aufrecht zu erhalten, werden wir zusätzlich Kooperationen und Leistungsabsprachen mit zivilen Anbietern und mittelfristig möglicherweise auch wieder strukturelle Veränderungen in Betracht ziehen müssen.

    WM: Welche Auswirkung wird die Re-Fokussierung auf die klinischen Versorgungsaspekte unserer Leitlinie haben, die 1995 explizit als Maxime der Versorgung für die Soldatinnen und Soldaten umschriebener Kontingente im Auslandseinsatz erlassen worden ist? Gilt sie auch für einen Einsatz im Rahmen der Bündnis- und Landesverteidigung? Wie wollen Sie die Ressourcen für die erforderliche klinische Versorgungsqualität gewinnen?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Die Maxime des Sanitätsdienstes der Bundeswehr ist Auftrag und ethische Verpflichtung zugleich. Selbstverständlich gilt sie damit auch im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung, was wir bereits bei der Erstellung der „Fachlichen Leitlinie“ im Jahre 1995 auch bewusst so formuliert haben. Wir haben einen der weltweit besten Sanitätsdienste. Unser Handeln fußt auf der Basis dieses Qualitätsanspruchs, der auf keinen Fall in Frage gestellt werden darf. Die Mengengerüste mögen sich nun verändern, auch die Einsatzoptionen z.B. in den baltischen Staaten, trotzdem werden wir uns auf die gewohnte Ergebnisqualität wie in Deutschland fokussieren. Unsere weiteren Überlegungen zu Fähigkeiten und Strukturen werden sich immer an diesem Qualitätsanspruch orientieren.

    Allerdings müssen wir neue Wege beschreiten und bislang bewährte Vorgaben und Prozesse überdenken. Kreative und innovative Lösungen sind hier gefragt. Es gilt dann auch Fragen zu beantworten wie: In welcher Form müssen Einsatzgrundsätze, die für Afghanistan gelten, für einen Einsatz in den baltischen Staaten modifiziert oder revidiert werden? Sind Verfahren wie der Host Nation Support dann in anderer Weise darzustellen? Müssen wir in den Aufbau sanitätsdienstlicher In­frastruktur in benachbarten Staaten zur Verkürzung von Transportwegen investieren? Wie wollen wir überhaupt den Verwundetentransport mit Helikoptern, Flugzeugen und vielleicht auch wieder per Schiene darstellen?

    Aber unter dem Strich gilt: Der Sanitätsdienst, den wir heute haben, gründet auf unserer Qualitätsvorgabe. Fehlt diese Basis, werden wir beliebig, sind wir auf der schiefen Ebene und auch die Soldaten werden nicht so versorgt, wie es ihnen zusteht. Denn es darf in der sanitätsdienstlichen Versorgung nach meiner Auffassung keinen Unterschied geben, ob ich in Afghanistan eingesetzt werde oder in der Landes- und Bündnisverteidigung.

    WM: Befürchten Sie Einflüsse der Re-Fokussierung auf die bisherige klinische Versorgungsstruktur des Sanitätsdienstes und auf unsere Krankenhaus-Standorte? 

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Die Bundeswehrkrankenhäuser sind der Ort des fachlichen Kompetenzerwerbs und -erhalts. Mit anderen Worten: Hier wird das sanitätsdienstliche Personal einsatzorientiert ausgebildet und verfügbar gehalten, um die notwendigen Unterstützungsleistungen des  Sanitätsdienstes  sicherzustellen.

    Hierfür ist eine umfassende klinische Ausbildung unerlässlich. Daher sehe ich hinsichtlich der benötigten Fachkompetenzen für solche Planungsszenarien eher einen Bedeutungszuwachs für die Orte der klinischen Ausbildung und für die Bereithaltung von bereits ausgebildetem Fachpersonal. Nicht zuletzt werden sämtliche sanitätsdienstlichen Versorgungseinrichtungen aus den Krankenhäusern mit klinischem Fachpersonal bestückt. Allein dies zeigt schon die Notwendigkeit eines quantitativen Aufwuchses. So sehe ich also weniger ein Risiko, sondern vielmehr eine Chance in der Re-Fokussierung.

    WM: Die Bundeswehrkrankenhäuser stehen im Fokus der Leitung und der Medien. Halten Sie die Häuser für die kommenden Herausforderungen in Landes- und Bündnisverteidigung, bei terroristischen Bedrohungen im Inland und unter gleichzeitigem Erfordernis von Auslandseinsätzen in aller Welt für gut aufgestellt? 

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Insbesondere aufgrund der vielfältigen Einsatz­erfahrungen des sanitätsdienstlichen Fachpersonals bin ich mir sicher, dass gerade unsere Bundeswehrkrankenhäuser für Szenarien, wie sie im Rahmen terroristischer Bedrohungen entstehen können, sehr gut aufgestellt sind. Die Häuser sind erheblich eingebunden in die zivile Patientenversorgung und damit natürlich auch Bestandteile der Katastrophenpläne der einzelnen Städte. Wir haben nach dem Anschlag im Dezember 2016 in Berlin erleben können, wie das Bundeswehrkrankenhaus Berlin zum ersten Mal seinen einmal geübten Alarmierungsplan aktiviert hat und ohne Weiteres den Personalbestand in kürzester Zeit fast verdoppeln konnte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ob mit oder ohne Uniform, erkennen die Ernsthaftigkeit und Tragweite solcher Situationen und sind dann auch präsent. Auch in dieser Beziehung ist auf unser Personal Verlass.

    Darüber hinaus sind wir inzwischen auch sehr gefragte Gesprächspartner ziviler medizinischer Fachgesellschaften in allen Themenbereichen der Katastrophenmedizin, da wir seit jeher mit Massenanfällen von Verletzten, mit komplexen Verwundungsmustern und Sichtungskriterien befasst sind. Unsere Sanitätsoffiziere vermitteln – gestützt auf ihre Einsatzerfahrungen - Wissen und Verfahren zur medizinischen Versorgung in Terrorszenarien auch in Deutschland. Diese Emanzipation der Militärmedizin in Deutschland, das gemeinsame Wirken auf Augenhöhe, haben wir bisher in der 61- jährigen Geschichte des Sanitätsdienstes noch nicht erlebt. Die positive Entwicklung drückt sich auch durch aktive und freundschaftliche Beziehungen zu den Fachgesellschaften aus. In diesem Zusammenhang kommt auch unserer Fachgesellschaft, der DGWMP, eine besondere Bedeutung zu, die als Kooperationspartner mit zivilen Fachgesellschaften, wie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, gemeinsame fachliche Fortbildungen anbieten kann. Eine absolut begrüßenswerte Entwicklung.

    WM: Nach wie vor gibt es auch im klinischen Bereich Personalerfordernisse. Welche Maßnahmen und Anreize ergreift der Sanitätsdienst bei der bekannten Konkurrenzsituation, um die offenen Stellen bei Facharztpersonal zu besetzen?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Ich beziehe diese Herausforderung nicht nur auf unser ärztliches Personal, auch im Bereich der Assistenz- und Pflegeberufe müssen wir uns der Konkurrenz mit dem zivilen Arbeitsmarkt stellen. Neben einer fundierten Aus- und Weiterbildung, die wir ohne Zweifel bieten können, ist es notwendig, über eine hohe Berufszufriedenheit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Bindung an den Arbeitgeber Bundeswehr größtmöglich zu stärken.

    Eine hohe Attraktivität der Beschäftigung beim Sanitätsdienst der Bundeswehr ist hierbei auch für eine erfolgreiche Personal- und Nachwuchsgewinnung unabdingbar. Dabei ist uns bewusst, dass insbesondere Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Dienst sowie Karriere- und Entwicklungsmöglichkeiten attraktivitätssteigernd wirken. Ebenso gehören die bereits bestehenden finanziellen Anreize, wie Zuschläge oder Prämien, zu den Maßnahmen der Personalgewinnung und natürlich auch zur Personalbindung. Damit die beispielsweise durch Eltern- und Teilzeit entstehenden personellen Vakanzen nicht zur Belastung des verbleibenden Personals führen, gibt es mit der Einrichtung von Kompensationsdienstposten und / oder Wechselstellen Instrumente, mit denen wir solche zeitweisen Ausfälle überbrücken können.

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    Generalstabsarzt Dr. Stephan Schoeps, Heike Lange
    Derzeit haben wir mit über 3.000 Sanitätsoffizieren in der Bundeswehr einen Stand, wie wir ihn noch nie zuvor hatten. Wir bekommen in der neuen Struktur weitere, zusätzliche 150 Facharztstellen in den Bundeswehrkrankenhäusern, die zum größten Teil als Beamtendienstposten ausgebracht werden. Wir vergessen aber nicht, dass das Team Sanitätsdienst in unseren Krankenhäusern nur dann funktioniert, wenn ärztliches und nichtärztliches Personal pro­fes­sio­nell zusammenwirken. Also verstärken wir uns auch im Bereich der Gesundheitsfachberufe. Es gilt für alle Berufsgruppen, bei der Gewinnung von neuem Personal auch aktiv mit unseren Alleinstellungsmerkmalen zu werben, denn wir haben ja etwas zu bieten: Wir sind nahezu der einzige Bereich im deutschen Gesundheitswesen, der nicht gewinnorientiert arbeiten muss. Wir können uns auf die Ausbildung konzentrieren und – welch ein Vorteil – wir können uns Zeit nehmen auch für die Patienten und leitliniengerechte Medizin bieten, ohne den wirtschaftlichen Erfolg im Fokus zu haben. Nicht zuletzt spielen aber auch Aspekte wie Wertschätzung und Respekt gegenüber allen Mitarbeitern eine große Rolle bei der Bindung an den Arbeitgeber Bundeswehr.

    WM: Eine besondere Herausforderung für die Bundeswehrkrankenhäuser stellt die Gewinnung von medizinischem Assistenzpersonal dar. Welche Maßnahmen sind unterstützend ergriffen und welche Erfahrungen sind bisher im Pilotprojekt Krankenpflegeschule am Bundeswehrkrankenhaus Ulm getätigt worden? Wie sieht die weitere Entwicklung dort aus?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt der eigenen Krankenpflegeschule am Bundeswehrkrankenhaus Ulm sind sehr vielversprechend. Bislang bekomme ich ein durchweg sehr positives Feedback der Pflegeschüler, die sich sowohl lobend zur Ausbildungseinrichtung, als auch zum Ausbildungsgang in Ulm äußern. Dieses Ergebnis ist sicherlich auch dem exzellenten Engagement des Personals der Krankenpflegeschule in Ulm geschuldet und ich bin mir sicher, dass sich die Schüler mit ihrem Ausbildungskrankenhaus und darüber hinaus mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr identifizieren können. Als ergänzende Maßnahme wurde noch im Dezember 2016 eine Initiative gestartet, die das Ziel verfolgt, Krankenpflegeschulen an den Bundeswehrkrankenhäusern Koblenz und Ulm dauerhaft einzurichten.

    Ich bin überzeugt, dass diese Einrichtungen erheblich zu einer künftigen Personalregeneration für den Sanitätsdienst beitragen können. Und ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass die positiven Ergebnisse aus dem Pilotvorhaben in Ulm die Umsetzung dieser Planungsinitiative beschleunigen werden. Auch auf dem zivilen Arbeitsmarkt herrscht ein Mangel an Pflegeberufstätigen. Das macht es für uns nicht leichter. Mit Blick auf unseren Fachkräftebedarf wurde daher die Personalwerbung intensiviert und die Präsenz sowohl in Print- als auch in online-Medien spürbar verstärkt. Insbesondere wirkt sich die derzeitige Werbekampagne „Mach, was wirklich zählt“ mit Schwerpunkt Sanitätsdienst der Bundeswehr positiv auf das Bewerberaufkommen für den Sanitätsdienst aus.

    Denn eines ist sicher: Die Leistungsfähigkeit unserer Krankenhäuser hängt entscheidend von der Verfügbarkeit motivierten Gesundheitsfachpersonals ab. So könnten wir z.B. mehr operieren, wenn wir mehr Operationstechnische Assistentinnen bzw. Assistenten hätten. Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, um ihnen die Freude am Beruf zu erhalten. Wir sprechen immerhin über Berufe mit lebenslangen anstrengenden Tätigkeiten am Patienten. Es gilt daher, mit allen möglichen Maßnahmen, wie BGM, Sport und verbesserten Arbeitsbedingungen, in unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insbesondere im pflegerischen Bereich zu investieren. Auch die Soldatenarbeitszeitverordnung (SAZV) hilft in diesem Punkt.

    Und einen Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang noch unterstreichen, nämlich die Bedeutung der Wertschätzung. Der Sanitätsdienst hat sich in der Vergangenheit meines Erachtens zu viel über die Sanitätsoffiziere und ihr ärztliches Handeln definiert. Tatsächlich war dies deutlich zu kurz gegriffen, denn wir arbeiten, wie bereits von mir schon mehrfach angesprochen, sowohl im Einsatz als auch in der Versorgung zu Hause stets im Team. Ärzte alleine erreichen nichts, wenn sie nicht von qualifizierten und motivierten Angehörigen der Assistenzberufe vernünftige Unterstützung haben. Da ist es nur selbstverständlich, diesen entsprechende Anerkennung und Wertschätzung entgegenzubringen.

    WM: Die Verordnung über die Arbeitszeit der Soldatinnen und Soldaten (SAZV) hat einige Unklarheiten insbesondere bei dem Personal der Bundeswehrkrankenhäuser hervorgerufen. Ist aus Ihrer Sicht eine Umsetzung im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten möglich?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Mit ist es wichtig, ganz besonders den Aspekt des Gesundheitsschutzes als Ziel der Soldatenarbeitszeitverordnung, die ja eine Umsetzung einer EU-Richtlinie darstellt, zu unterstreichen.

    Wir sind es unseren Soldatinnen und Soldaten gerade in den BwKrhs schuldig, endlich eine definierte Arbeitszeit zu gewähren, ebenso wie eine verlässlich definierte Freizeit.

    Nach unseren letzten Erhebungen arbeiten fast 90 % unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den BwKrhs im Jahresdurchschnitt zwischen 41-48 Stunden. Es bleibt festzustellen, dass ein Krankenhausbetrieb schon etwas Besonderes ist und sich in seinen Aufgaben durchaus abhebt von einem normalen militärischen Verband. In einem 24/7 Betrieb kann es zeitlich begrenzt zu Arbeitsspitzen kommen. Wie in jeder Dienststelle gibt es noch dazu einen bestimmten Personenkreis, der immer besonders belastet ist und mehr Stunden arbeitet. Hier kommt es darauf an, dass Vorgesetzte steuernd eingreifen und Transparenz schaffen.

    Inzwischen konnte die Vergütung für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft in den ­BwKrhs auf die Sanitätsfeldwebel (SanFw) und Sanitätsunteroffiziere (SanUffz) ausgeweitet werden. Es fehlt allerdings nach die entsprechende Durchführungsbestimmung. Das muss so schnell wie möglich realisiert werden.

    WM:  In den letzten Jahren sind verschiedene Studien zur Mitarbeiterzufriedenheit erschienen. Insbesondere die junge Generation fordert aktiv Skills wie Wertschätzung, gutes Arbeitsklima, gute Menschenführung, Personalbindung und das Aufzeigen von Chancen ein. Welche Maßnahmen beabsichtigen Sie, unser Führungspersonal besonders in den Krankenhäusern, dafür vorzubereiten?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Viele dieser „aktiven Skills“ sind bereits Bestandteil des Konzepts der Inneren Führung, mit dem Führungspersonal schon frühzeitig vertraut gemacht wird. In der Führungsakademie ist seit 2016 der Lehrgang „Führung im Sanitätsdienst“ implementiert. Dieser richtet sich an Sanitätsstabsoffiziere aller Approbationen, die in leitender Funktion in den Bundeswehrkrankenhäusern oder regionalen Sanitätseinrichtungen eingesetzt sind. Zielsetzung ist es, Kenntnisse zur Umsetzung einer professionellen Mitarbeiterführung zu erwerben oder zu vertiefen, um diese dann auch erfolgreich umzusetzen. Zur Sprache kommen hier z.B. Aspekte des Umgangs mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Chancengerechtigkeit sowie Gleichstellungsfragen bis hin zur Einbindung von Personalvertretungen. Und nicht zuletzt gehört dazu nach meinem Verständnis auch, gerade für Abteilungsleiter, künftig „Klinische Direktoren“, sich als militärische Führer zu verstehen. Auch diese Aspekte werden für diesen Personenkreis in dem einwöchigen Lehrgang vermittelt. Natürlich kann in einer Woche keine grundlegende Verhaltensänderung erzeugt, wohl aber das individuelle Führungsverhalten hinterfragt und auf alle Fälle der „Appetit“ für die weitere Beschäftigung mit diesen Themengebieten geweckt werden.

    Der Pilotlehrgang ist mit großem Erfolg durchgeführt worden und es war für mich sehr beeindruckend, wie engagiert unsere Führungskräfte dabei aufgetreten sind. Schon im März folgt der nächste Lehrgang und auf der Zeitachse werden alle Führungskräfte und „High Potentials“ hier eingesteuert werden.

    WM: Die aktuelle WEHRMEDIZIN UND WEHRPHARMAZIE Ausgabe setzt die vielfältige Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Zentralen Instituts der Bundeswehr in den Fokus. Welchen Stellenwert haben in Ihren Augen die Zentralinstitute des Sanitätsdienstes?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Unsere Zentralen Institute leisten mit ihren vielfältigen Laboruntersuchungen von Lebensmitteln, Trinkwasser, Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie in der Tierseuchen – und Zoonosediagnostik einen wirklich entscheidenden Beitrag zur Gesunderhaltung der Angehörigen der Streitkräfte. Gemeinsam mit den Überwachungsstellen für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr sind sie Garant einer gesundheitlich unbedenklichen Verpflegung und einer sicheren Trinkwasserversorgung in Grundbetrieb und Einsatz. Sie sind vergleichbar mit den zivilen Untersuchungseinrichtungen der Länder, decken jedoch die besonderen Risiken und die spezifischen militärischen Herausforderungen der Streitkräfte, wie z.B. Sabotage in der Lebensmittelkette, mit ab.

    Für mich sind die ZInstSanBw unverzichtbarer Bestandteil gerade der Prävention, des vorbeugenden Gesundheitsschutzes. Die Arbeit dieser vielen dort tätigen motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist militärmedizinisch von höchster Relevanz. Krankheiten zu verhindern, ist traditionell eine der Stärken der Militärmedizin.

    WM: Sie haben sich seit jeher für ein sinnstiftendes Traditionsverständnis im Sanitätsdienst der Bundeswehr aktiv eingesetzt. Nach wie vor steht die Bundeswehr hier im Blick einer kritischen Öffentlichkeit. Wie beurteilen Sie das Spannungsfeld Traditionswürdigkeit von Personen der deutschen Militärgeschichte, Tapferkeit im Sanitätsdienst und Fokussierung auf die eigene Geschichte der Bundeswehr? Welche Möglichkeiten sehen Sie, junge Soldatinnen und Soldaten mit kaum vorhandenen historischen Kenntnissen auf diesem Gebiet zu prägen und welche Rolle spielt dabei das berufliche Selbstverständnis?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Das im Sommer 2015 erlassene berufliche Selbstverständnis der Angehörigen des Sanitätsdienstes stellt eine Rückkehr zu unseren ureigenen Wurzeln dar. Mit seinem Leitsatz „Der Menschlichkeit verpflichtet“ ist es inzwischen Anspruch, Orientierungshilfe und Richtschnur geworden, nicht nur bei Planung und Strategie, sondern genauso im täglichen Dienst und im Miteinander aller Angehörigen des Sanitätsdienstes.

    Damit wird eindeutig unterstrichen, dass wir uns auf unseren Kernauftrag konzentrieren und dass wir in einem völkerrechtlich definierten Rahmen eindeutig den Prinzipien der Genfer Konvention folgen. Daraus folgt, dass wir uns daher nicht als „kämpfender“, sondern als „helfender“ Sanitäter verstehen.

    Diese Position gilt es unserem Nachwuchs zu vermitteln. Berufliches Selbstverständnis und Tradition hängen sehr eng zusammen. Innerhalb wie außerhalb der Streitkräfte wird seit 60 Jahren um die Auswahl der richtigen Traditionen gerungen: Wer oder was ist vorbildhaft für die Bundeswehr und ihre Soldaten, was nicht? Diese Fragen gewinnen angesichts der deutschen Geschichte nochmals an Dringlichkeit. Nach meiner Auffassung müssen wir den Geist unseres Sanitätsdienstes daher eindeutig auch in der Ausbildung und Prägung unseres Nachwuchses verdeutlichen.

    Menschen, wie Feldwebel Anton Schmid, nach dem wir im letzten Sommer die Blankenburger Kaserne umbenannt haben, sind Persönlichkeiten, an denen man sich ausrichten kann. Sie haben in schwerer Zeit aufgrund ihrer ethischen Prägung unter Aufopferung ihres Lebens selbstlose Menschlichkeit gezeigt.

    Auch heute gibt es solche Situationen für uns. Denken Sie an die Behandlung von Einheimischen im Einsatz, an die Flüchtlingskrise oder an die Rettung von Schiffbrüchigen im Mittelmeer. Situationen, in denen man nicht lange überlegen muss und einfach das zu tun hat, was die Menschlichkeit erfordert: Hilfe zu leisten. Das sollte für uns Sanitäter selbstverständlich sein, denn auch das müssen wir uns immer vergegenwärtigen und auch wertschätzen: Wir haben als Sanitäter das absolute Privileg, selbst in den schlimmsten Kriegen die Menschlichkeit in den Vordergrund stellen zu können. Unser Handeln macht damit immer Sinn. Welche andere Truppengattung kann das von sich behaupten? Wenn wir dies an der Sanitätsakademie, in den Laufbahnlehrgängen oder bei jeder anderen Gelegenheit mit unserem Nachwuchs einfach und verständlich diskutieren, dann zeigen wir ihm den richtigen Weg. Und ich denke, dass der Anspruch „Der Menschlichkeit verpflichtet“, den wir jetzt auf unseren Folien, Briefpapieren oder auch auf dem Frontcover der WEHRMEDIZIN UND WEHRPHARMAZIE sichtbar aufführen, auch für unsere jungen Soldatinnen und Soldaten Leitschnur sein muss. Sich im Zweifel einfach für die Menschlichkeit zu entscheiden. Das kann eigentlich nie falsch sein.

    WM: Die WEHRMEDIZIN UND WEHRPHARMAZIE feiert mit dieser Ausgabe I / 2017 ihr 40jähriges Jubiläum. Welche Rolle messen Sie der Zeitschrift im Sanitätsdienst zu?

    Kdr GesEinr u. StvInspSan: Die Zeitschrift WEHRMEDIZIN UND WEHRPHARMAZIE ist für mich ein entscheidender Teil des sanitätsdienstlichen Informationsspek­trums. Sie ist tatsächlich seit Jahrzehnten unsere Hochglanzdarstellung des Sanitätsdienstes nach außen und innen.

    Die Inhalte, im Schwerpunkt truppen- und fachdienstliche Informationen aus allen Bereichen des Sanitätsdienstes, aber auch der DGWMP, ergänzen damit den fachlichen Auftrag der Wehrmedizinischen Monatsschrift, die Beiträge aus den militärmedizinisch relevanten Forschungsbereichen veröffentlicht. Der Zeitschrift gelingt es, die ganze Bandbreite des Sanitätsdienstes mit seinen aktuellen Entwicklungen und zukünftigen Überlegungen in einer ansprechenden und gut lesbaren Präsentation zu verdeutlichen.

    Ich wünsche mir für die Zukunft, neben den guten aktuellen Inhalten und Erfahrungsberichten, auch Personen aus den Gesundheitsfachberufen zu Wort kommen zu lassen, um das Team Sanitätsdienst noch klarer herauszustellen. Und natürlich gilt es auch den Blick visionär auf zukünftig wichtige Bereiche, wie die Informationstechnologie im Sanitätsdienst oder die Darstellung der bahnbrechenden Entwicklungen der präklinischen und klinischen Simulationssysteme, zu richten.

    WM: Herr Generalstabsarzt Dr. Schoeps, wir bedanken uns bei Ihnen für das ausführliche Gespräch. Sie haben die WEHRMEDIZIN UND WEHRPHARMAZIE in ihrem Berufsleben stets wohlwollend kritisch begleitet und wichtige Impulse gegeben. Dafür sagen wir Ihnen herzlichen Dank und wünschen Ihnen für die Zukunft nur das Beste.

    Datum: 17.04.2017

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2017/01

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