DAS NATO TRAUMAREGISTER

Die Datensammlung Trauma bezogener medizinischer Daten in geeigneten Datenbanken, sogenannte Traumaregister, haben sich vor allem im zivilen Bereich als äußerst wertvoll in der wissenschaftlichen Analyse und der Qualitätssicherung im Rahmen der Traumabehandlung erwiesen.

Dabei liegt das vornehmliche Ziel in der ständigen Verbesserung der Behandlungsprozesse zur Optimierung des Behandlungsergebnisses. Einzelne Nationen (z. B. USA, GBR) haben ein entsprechendes Trauma-Register auch in ihren Streitkräften etabliert und sind so in der Lage, unter Berücksichtigung einsatzrelevanter und einsatzspezifischer Aspekte die sanitätsdienstliche Versorgung der Soldaten zu optimieren. In diesem Artikel wird der aktuelle Sachstand zum NATO Traumaregister sowie ein Ausblick auf die weitere Entwicklung dargestellt.

Im Jahr 2008 präsentierte die damalige NATO Research- and Technology Organisation ihren Abschlussbericht zu einem NATO Traumaregister1  dem Committee of the Chiefs of Military Medical Service (COMEDS). Auf der Grundlage der in diesem Bericht beschriebenen fachlichen Notwendigkeit, den (datenschutz-) rechtlichen Herausforderungen sowie den grundsätzlichen Anforderungen an ein derartiges multinationales Traumaregister beauftragte COMEDS die Military Health Care Workinggroup (MHC WG) mit den ersten Schritten zur Entwicklung standardisierter internationaler medizinischer Datensätze als wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung eines NATO Traumaregisters (NTR). Im Jahr 2010 wurde dann die NTR Taskforce(BEL, CZE, DEU, GBR, FRA, NLD, SWE, USA) zur Intensivierung der Entwicklungen etabliert, wobei hier erstmalig das NATO Centre of Excellence for Military Medicine (MILMED COE) in Budapest eingebunden wurde. Dabei übernahm das MILMED COE die Koordinierungs- und Entwicklungsaufgaben für dieses Projekt und entwickelte in enger Abstimmung mit den NTR TF Nationen unter Beauftragung eines zivilen amerikanischen IT-Unternehmens die nunmehr vorliegende NTR Software. Parallel dazu wurde ebenfalls die enge Abstimmung mit dem Traumaregister der amerikanischen2  und englischen3  Streitkräfte gesucht, da diese Nationen innerhalb der NATO sicherlich über die meiste Erfahrung mit militärischen Traumaregistern verfügen und eine Kompatibilität zu diesen für das NTR-Projekt als essentiell bewertet wurde und wird. Parallel zur Softwareentwicklung wurde federführend im MILMED COE das NTR-Konzept erarbeitet welches als das entscheidende Grundlagendokument in der NATO die für dieses Projekt wesentlichen Grundsätze zu Verantwortlichkeiten, zur Datenhaltung und insbesondere zum „Request of Research-Process“ also der wissenschaftlichen Nutzung der Daten im NTR beschreibt. Auf der letzten Sitzung der NTR Taskforce in Prag (CZE) konnte schließlich im Einvernehmen mit allen beteiligten Nationen das NTR-Konzept4 finalisiert und durch die Vorsitzenden der NTR TF und der MHC WG unterzeichnet werden.

Im Folgenden werden nun die wesentlichen Funktionalitäten und Prozesse des NATO Traumaregisters erläutert:

Das Grundprinzip des NTR besteht in dem ausschließlichen Datenaustausch zwischen nationalen Traumaregistern und dem NATO Traumaregister. Es ist ausdrücklich nicht vorgesehen, dass das NTR Datensätze direkt aus sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtungen im Einsatz importiert. Einerseits können hierdurch die Nationen unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen rechtlichen Bestimmungen hinischtlich der Weitergabe medizinscher Daten entscheiden, wann und welche Daten sie weitergeben. Andererseits kann hierdurch sichergestellt werden, dass nur national validierte Datensätze an das NTR übertragen werden und somit die Qualität der Daten auf einem möglichst hohen Niveau gehalten werden kann. Dabei arbeitet das NTR ausschließlich mit sogenannten „de-identified“ Daten, welches als Minimum die Datenfelder Name, Vorname, Personenkennziffer (o. vglb.), Dienstgrad löscht und das Geburtsdatum durch eine Altersgruppe ersetzt. Darüber hinaus haben die Nationen die Möglichkeit weitere Datenfelder zu identifizieren, die sie auf Grund nationaler Bestimmungen nicht an das NTR übertragen wollen. Um den Datenaustausch zwischen den nationalen Versionen des Traumaregisters und dem NTR sicherzustellen, stehen entsprechend zwei Versionen der NTR-Software mit eingebauten Import-/ Export-Funktionen zur Verfügung; die nationale NTR-Version und die eigentliche NTR-Version, die im MILMED COE in Budapest gehostet und administriert wird.

Welche Daten werden im NTR erfasst?

Jeder Datensatz im NTR besteht aus über 300 einzelnen Datenfeldern so dass hierdurch die gesamte Kette der sanitätsdienstlichen Versorgung, vom Ort der Verwundung/ Verletzung bis hin zur abschließenden Behandlung im jeweiligen Inland abgebildet werden kann:

  • Ort der Verwundung einschließlich Verletzungsmuster, Umgebungsbedingungen, Angaben zum Fahrzeug und persönlichen Schutzausrüstung
  • Daten zur Erstversorgung mit Schwerpunkt First Responder und MEDEVAC zur nächsten sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtung
  • Präklinische Daten mit fachlichem Schwerpunkt auf Erstdiagnosen, erste qualifizierte medizinsche Maßnahmen, Zustand des Soldaten, Komplikationen
  • Klinische Daten mit Diagnosen, Behandlungsmaßnahmen, Komplkationen usw.

Die Beschreibung aller Datenfelder einschließlich deren Eigenschaften und deren Format sind im NTR Data Dictionary zusammengefasst, welches ein Bestandteil des NTR Konzepts ist. Um die Konsistenz, die Integrität und die Verfügbarkeit der NTR-Daten zu gewährleisten, wurde entschieden, dass ausschließlich das MILMED COE direkten Zugriff auf die NTR-Daten hat und somit auch für die Datenpflege und das Datenmanagement verantwortlich ist.

Wer und wie können zukünftig wissenschaftliche Analysen durchgeführt werden?

Es ist unschwer nachvollziehbar dass die im NTR enthaltenen Daten einerseits eine äußerst wertvolle Datenquelle für medizinisch-wissenschaftliche Analysen darstellen. Andererseits enthalten die NTR-Datensätze Informationen über die jeweiligen Umstände und Rahmenbedingungen, die für sich alleine aber auch zusammen mit den medizinischen Daten höchst sensibel sind und auch Fragen der „operational security“ und „medicalintelligence“ berühren. Ebenso sind grundsätzlich Auswertungen nach Nationen und deren jeweiligen Behandlungseinrichtungen möglich, die jedoch aus der Sicht der betroffenen Nationen kritisch gesehen werden können. Vor diesem Hintergrund war es erforderlich einen Prozess zur Analyse der NTR-Daten zu entwickeln, der transparent ist und jeder betroffenen Nation aber auch den Einrichtungen der NATO Kommandostruktur die Möglichkeit gibt auf diesen Prozess einzuwirken sofern sensible Bereiche berührt werden. Zu diesem Zweck wurde der sogenannte „Request of Research“ als das Instrument entwickelt, um entsprechende Analysen der NTR-Daten abzufragen unter gleichzeitiger Wahrung nationaler oder NATO Interessen.

Request of Research Process

Nur ein klar strukturierter, transparenter und nachvollziehbarer Request of Research Process (RoR-Process) garantiert, dass Nationen bereit sind, ihre nationalen medizinischen Daten an das NTR zu übertragen, da sie sich darauf verlassen können, dass diese nur zu vereinbarten Zwecken genutzt und veröffentlicht werden. Das Grundprinzip hierbei besteht darin, dass das NTR entsprechende Analyseanfragen ausschließlich von definierten Personen/ Institutionen akzeptiert, den sogenannten „National Assigned Medical Representative“ (NAMR) sich beteiligender Nationen oder aus der NATO Kommandostruktur die Medical Advisor vom International Military Staff (IMS), Allied Command Operation (ACO) und Allied Command Transformation (ACT). Sollte innerhalb einer Nation oder innerhalb der NATO Kommandostruktur andere Einrichtungen/ Institutionen/ Personen (z. B. nationales ziviles Traumaregister, z. B. NATO Scientific and Research Organisation) Interesse an einer Analyse der NTR-Daten haben, so müssen diese über den jeweiligen NAMR/ MEDAD gehen. Dieser hat die Verantwortung für diese Analyseanfrage im vollen Umfang zu übernehmen, so als wäre es seine eigene Anfrage. Das Analyseergebnis wird in jedem Fall ausschließlich an den anfragenden NAMR/ MEDAD übergeben.

Neben der eigentlichen fachlich-wissenschaftlichen Analyseanfrage sind im RoR-Process weitere Informationen beizufügen. Aussagen zum beabsichtigten Zweck der Analyse, wo soll was und wie veröffentlicht werden, Zeiträume, Finanzierung einer entsprechenden Studie, was passiert mit den Daten aus dem Analyseergebnis, wer und wo werden diese gespeichert ggf gelöscht, eine ethische Bewertung der Analyse, eine Bewertung zur Frage der „operational security“ und „medicalintelligence“ sollen gewährleisten, dass nationale und NATO-Interessen gleichermaßen bewertet und berücksichtigt werden können. Um diese Bewertung im MILMED COE durchführen zu können, wird sich das MILMED COE ein internationales Netzwerk von entsprechenden Experten aufbauen, da nicht zu allen Themen die Expertise im COE durchgängig vorhanden ist. Letztlich wird es dann zu einer Entscheidung im sogenannten NTR Approval Board (NAB) kommen, welches sich aus Vertretern des MILMED COE, den von der Analyse betroffenen Nationen und den MEDAD der NATO Kommandostruktur (strategische Ebene) zusammensetzt. Die Beschlüsse im NAB werden dann im Konsens-Prinzip getroffen.

Wo stehen wir jetzt?

Seit September 2013 wird die Software unter Federführung des MILMED COE multinational getestet und validiert. CZE, DEU und FRA sowie das MILMED COE selbst überprüfen die einwandfreie Funktionalität der Software. Hierzu wurden sowohl eigene Testdatensätze entwickelt, als auch der Datenaustausch mit den Traumaregistern der USA und GBR Streitkräfte erfolgreich durchgeführt. Gerade diese Zusammenarbeit sowohl mit dem US JTR/DoDTR als auch dem UK JTTR warenund sind nicht nur für die Validierung der vorliegenden Software von besonderer Bedeutung sondern auch für den gesamten Entwicklungsprozess des NTR. Zur weiteren Validierung der Software als auch der nationalen Datenerfassung mit dem nationalen Modul des NTR wird von März bis Juli 2014 in Koordination zwischen DEU, GBR, USA und dem MILMED COE ein Feldtest im DEU SanEinVbd ISAF durchgeführt werden, um die Funktionalität des NTR unter realen Bedingungen zu überprüfen. Ziel ist es dann im 2. Halbjahr 2014 das NATO Traumaregister als funktionsfähiges System zu etablieren.

Wie geht es weiter?

Gegenwärtig enthält das NTR bis auf die Testdatensätze keine realen Datensätze und in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen der NATO Einsätze ist eine unter statistischen Gesichtspunkten nennenswerte Anzahl neuer Datensätze aus den Einsatzgebieten nicht zu erwarten. Es wird also in einem ersten Schritt darum gehen müssen, historische Datensätze aus bereits existierenden Traumregistern zu erhalten. Hierzu wurden bereits erste Gespräche sowohl mit den Amerikanern als auch den Engländern geführt und eine grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, eine initiale Befüllung des NTR zu ermöglichen. Natürlich sind alle NATO Mitgliedsstaaten aufgerufen, sofern sie sich am NTR beteiligen wollen, die national dokumentierten Traumapatienten mit dem nationalen Modul des NTR zu erfassen und an das MILMED COE zu übermitteln. Sofern eine statistisch signifikante Menge an Datensätzenim NTR enthalten sind, können dann erste Analyseprozesse gestartet werden, die analog z. B. der US Clinical Practice Guidelines5 in statistisch gesicherte, evidenzbasierte Handlungsempfehlungen bzw. Richtlinien für sanitätsdienstliche Maßnahmen im Einsatz führen können.

Photo
Abb. 5 Einblick in OP-Saal.

Parallel zu einer möglichen Erstbefüllung des NTR empfiehlt es sich, die bestehenden Dokumentationsstandards entlang der gesamten sanitätsdienstlichen Rettungskette sowohl national als auch multinational zu harmonisieren. Auch wenn hierzu gültige NATO-Vorgaben existieren6 , so findet man doch unterschiedliche Dokumentationssystematiken innerhalb der NATO-Länder vor. Um sowohl eine hohe Akzeptanz für die Erfassung als auch eine hohe Datenqualität der benötigten NTR-Daten zu erreichen, sollte eine redundante Datenerfassung unter allen Umständen vermieden werden; oder umgekehrt: Die NATO-Länder müssen ihre Dokumentationssystematiken so weiterentwickeln, dass die NTR-Daten unter Berücksichtigung der Ebene der sanitätsdienstlichen Versorgung regulärer Bestandteil der Dokumentation sind.
Darüber hinaus ist es vorstellbar, in der Zukunft das NTR weiter zu entwickeln in Richtung eines Einsatzregisters, also einer umfassenden, im Schwerpunkt einsatzorientierten Erfassung von Erkrankungen und Verletzungen von Soldaten einschließlich einsatzbezogener psychischer Belastungsstörungen und infektiologischer Erkrankungen. Letztlich konnte mit dem NATO Traumaregister nunmehr ein erster Baustein für eine NATO-weite Gesundheitsdatenbank mit dem Ziel der wissenschaftlichen Auswertung zur Optimierung der sanitätsdienstlichen Versorgung im multinationalen Umfeldgelegt werden.

1 NATO RTO-HFM 131: A proposed NATO Trauma Registry 2008
2 US Joint Trauma System/ Department of Defense Trauma Registry (JTS/ DoDTR) auf www.usaisr.amedd.army.mil
3 UK Joint Theatre Trauma Registry (UK JTTR)
4 Das NTR-Konzept wird nach finaler Überarbeitung auf www.coemed.org zum Download zur Verfügung gestellt.
5 http://www.usaisr.amedd.army.mil/clinical_ practice_guidelines.html
6 vgl. AMedP 8.1; STANAG 2132

Datum: 26.09.2014

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2014/2

Verwandte Artikel

VJTF 2023 – Speerspitze der NATO Response Force

VJTF 2023 – Speerspitze der NATO Response Force

Die NATO Response Force (NRF) 2022–2024 ist aufgestellt und steht in diesem Jahr in der Stand By Phase der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) bereit.

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2023

MUTMACHER: Engagierte Abgeordnete übernehmen Schirmherrschaft

MUTMACHER: Engagierte Abgeordnete übernehmen Schirmherrschaft

Die Bundestagsabgeordneten Kerstin Vieregge und Johannes Arlt haben die Schirmherrschaft über MUTMACHER übernommen. Beide Verteidigungspolitiker unterstützen das Engagement der Härtefallstiftung und der Familienstiftung für besonders belastete...

Nuklearmedizinische Diagnostik bei Patienten mit verzögerter Knochenheilung nach Explosions- und Schusstraumata

Nuklearmedizinische Diagnostik bei Patienten mit verzögerter Knochenheilung nach Explosions- und Schusstraumata

In militärischen Konflikten führen Frakturen, die durch Schuss- oder Explosionsverletzungen entstehen, zu einer hohen Rate an Knochensubstanzverlusten, Weichteilverletzungen und Infektionen.

Wehrmedizinische Monatsschrift 6-7/2022

Meist gelesene Artikel

Photo

KARL STORZ: Partner der Wehrmedizin

Seit der Gründung 1945 ist KARL STORZ zu einem weltweit agierenden Unternehmen in der Herstellung und im Vertrieb von Endoskopen, medizinischen Instrumenten und Geräten in der Human- und…