DIE EXPLOSIONSVERLETZUNG KINEMATIK, THERAPIE UND EINSATZCHIRURGISCHE RELEVANZ EINER THERMOMECHANISCHEN KOMBINATIONSVERLETZUNG

Blast Injury - Kinematics, Therapy and Relevance for Military Surgery of Thermo-Mechanical Combination Injuries



Matthias Johann, Benedikt Friemert, André Gutcke, Erwin Kollig, Christian Willy



WMM, 58. Jahrgang (Ausgabe 12/2014; S. 402-407)

Zusammenfassung:



Explosionen durch Sprengfallen sind häufige Ursachen von Verletzungen in kriegerischen Auseinandersetzungen, dies zeigt auch die Anzahl der getöteten oder verletzten Soldaten im ISAF-Einsatz. Explosionsverletzungen zeigen als thermomechanische Kombinationsverletzung eine eigene Kinematik, die Verletzungen werden in primäre bis quintäre Explosionsverletzungen eingeteilt.

Die primäre Therapie besteht in der Behandlung der lebensbedrohlichen Verletzungen gemäß Pre Hospital Trauma Life Support (PHTLS®) und Advance Trauma Life Support (ATLS®) Protokoll durch Damage Control Surgery im Einsatzlazarett. Nach intensivmedizinischer Stabilisierung erfolgen die Repatriierung und die rekonstruktive Chirurgie zur Wiederherstellung von Weichgewebs- und Knochendefekten in den Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs) einschließlich der Therapie von Komplikationen wie Weichgewebsinfekten und Osteitiden. Um einen Behandlungserfolg zu gewährleisten, muss die Ausbildung zum Einsatzchirurgen die Befähigung zur Therapie dieser Verletzungen sicherstellen., Die BwKrhs müssen die septisch-rekonstruktive Expertise vorhalten.

Schlüsselworte: Explosionstrauma, Kombinationsverletzung, Einsatzchirurgie, Kinematik, Wundinfektionen, thermomechanisch

Summary

Explosions of booby traps are a common cause of injuries in warfare, which is also shown by the number of soldiers injured or killed during their ISAF-mission. A blast injury is a thermo-mechanical combination of injuries, graded from primary to quinary. Blast Injuries present their very own special kinematics.
The primary therapy, pursuant to Pre Hospital Trauma Life Support (PHTLS®) and Advance Trauma Life Support (ATLS®), consists in the treatment of life threatening injuries through Damage Control Surgery in a field hospital. After intensive medical stabilization, the repatriation and reconstructive surgery for the recovery of soft tissue and bone loss in military hospitals follow, including the treatment of complications like soft tissue infections and osteomyelitis. To assure a successful treatment field surgeons have to be trained intensively in treatment of these injuries and the military hospitals have to provide experience in septic-reconstructive surgery.
Keywords: blast injury, combination trauma, military surgery, wound infection, thermo-mechanical

Einleitung

Die thermomechanische Kombinationsverletzung ist gekennzeichnet durch Schädigung des Körpers aufgrund Einwirkung von stumpfer, penetrierender und thermischer Energie. Der jeweilige Energieeintrag bestimmt das Verletzungsmuster. Neben Verletzungen von Geweben und Organen kommt es zu Frakturen des Achsenskeletts und / oder der Extremitäten, zusätzlich kommt es zu  Verbrennungen, nicht selten in Verbindung mit  einem Inhalationstrauma.
In der Bundesrepublik Deutschland erleiden ca. 10 % der Brandverletzten ein zusätzliches mechanisches Trauma; Ursachen sind meist Verpuffungen oder selten Explosionen, Sprung aus größeren Höhen bei Wohnungsbränden, Verkehrsunfälle mit Fahrzeugbränden sowie Stromunfälle in größeren Höhen. Bei jährlich 1500 - 1600 in Schwerbrandverletztenzentren behandelten Patienten besteht daher eine  Inzidenz von 1:500000bei etwa 150 Patienten mit relevanten thermomechanischen Kombinationsverletzungen [1, 2].
In der Einsatzchirurgie hat diese Verletzungsform einen besonderen Stellenwert. Explosionsverletzungen stellen mit bis zu 40% die häufigste Todesursache der gefallenen Soldaten dar. Sie werden zum großen Teil von Sprengfallen, Selbstmordattentaten oder Autobomben verursacht. Zudem ist bei diesen terroristischen Attacken grundsätzlich mit einer hohen Anzahl von Verletzten zu rechnen, was die Ressourcen einer Sanitätseinrichtung maximal beansprucht [3].

Kinematik des Explosionstraumas

Bei einer Explosion wird eine große  Energiemenge innerhalb von kürzester Zeit freigesetzt, was zu zu einer rasanten Volumenausdehnung von Gasen und damit zueiner Druckwelle führt. Abhängig von der Ausbreitungsgeschwindigkeit unterscheidet man „low order explosives“ und „high order explosives“. Bei Explosionen in geschlossenen Räumen wird die Druckwelle reflektiert und kann mehrfach das gleiche Volumen aus verschiedenen Richtungen treffen. Es folgen ein Unterdruck und der sogenannte „blast wind“.
Diese physikalische Charakteristik ist für resultierenden Verletzungen verantwortlich, welche ein einer Explosion ausgesetzter Körper erleidet:
Die primäre Druckwelle führt zu einer Belastung aller luftgefüllten Organe, was durch den folgenden Unterdruck innerhalb kürzester Zeit noch verstärkt wird. Betroffen sind in erster Linie das Mittelohr, die Lunge und die Hohlorgane. So resultieren Trommelfellverletzungen als typischer Befund, (Spannungs-) Pneumothoraces mit Lungenkontusion -seltener Luftembolien- und Perforationen von Magen und Intestinum. Diese Verletzungen werden als primäre Explosionsverletzungen („primary blast injury“) bezeichnet.
Die sekundäre Explosionsverletzung („secondary blast injury“) ist Folge einer Splitter- und Fragmentwirkung. Durch die Explosion werden Bauteile des Explosionskörpers, ggf. absichtlich eingebrachte Füllungsmaterialien sowie aus der unmittelbaren Umgebung der Explosion stammende Fragmente bis zu einer Geschwindigkeit von 1800m/s zentrifugal beschleunigt. Dazu sind auch knöcherne Fragmente des Täters bei Selbstmordattentaten zu rechnen. Diese hoch beschleunigten Fragmente verursachen beim Auftreffen auf den Körper perforierende Verletzungen, welche infolge des hohen Energieeintrags und der irregulären Flugbahn der Fragmente große Gewebezerstörungen hervorrufen können [4, 5, 6].
Die tertiären Explosionsverletzungen („tertiary blast injuries“) sind meist stumpfe Traumata. Sie werden sowohl durch den Aufprall des Exponierten auf den Boden oder gegen Wände bzw. andere Hindernisse  verursacht als auch durch die Einwirkung von Gegenständen, die durch die Explosion umhergeschleudert werden. Auch einstürzende Gebäudeteile können zu tertiären Verletzungen führen [7].
Die im Rahmen der Explosion freiwerdende thermische Energie führt zu Verbrennungen der Körperoberfläche, bei Eindringen der heißen Luft in das Bronchialsystem entsteht ein thermisches Inhalationstrauma, das durch Einatmen von heißen giftigen Gasen durch ein chemisch toxisches Inhalationstrauma verstärkt wird. Diese thermisch-toxischen Verletzungen werden als quartäre Explosionsverletzung bezeichnet („quaternary blast injury“). Darunter wird zusätzlich die Exazerbation vorbestehender Erkrankungen oder Therapieeffekte subsummiert, beispielsweise bei Therapie mit Antikoagulantien sowie bei vorbestehenden Herz-Kreislauferkrankungen.
Seit einigen Jahren wird von der  quintären Explosionsverletzung („quinary blast injury“) gesprochen. Diese beschreibt Verletzungen und Zustände, die nicht den vier zuvor genannten Kategorien zuzuordnen sind und möglicherweise durch toxische, dem Sprengkörper beigemischte Substanzen verursacht werden wie infektiöse, radioaktive und oder chemische Agenzien [7].

Therapeutische Optionen

Die Therapie des Überlebenden einer Explosion mit thermomechanischer Kombinationsverletzung unterscheidet sich zunächst nicht vom Notfallmanagement eines polytraumatisierten Verletzten. Präklinisch hat sich hierbei das Vorgehen nach PHTLS®, klinisch nach ATLS® bewährt. Bei einem in diesem Szenario nicht unwahrscheinlichen Massenanfall von Verletzten sind die Prinzipien der Sichtung mit Kategorisierung der Patienten nach der Dringlichkeit der Behandlungsbedürftigkeit essenziell mit konsekutiver Nachtriage. Individualmedizinisch besteht der Grundsatz „Treat first, what kills first“ [1]. Neben einem sicheren Atemweg sowie der Sicherung der Oxygenierung meist mit  Entlastungspunktion oder Legen von Thoraxdrainagen muss ein suffizienter Blutkreislauf erhalten werden. Hier ist die Blutstillung zunächst der wesentliche Therapiebaustein. Dies kann unter Einsatzbedingungen die proximale Anlage von Tourniquets bei Extremitätenverletzungen erforderlich machen, bei Beckenverletzungen ist ein Beckengurt oder ein „pelvic sheeting“ unabdingbar. Neben diesen Maßnahmen sind natürlich eine Tetanusprophylaxe und eine primäre Antibiose obligat, welche im Verlauf gezielt angepasst werden muss [8].
Im Rahmen der ersten klinischen Versorgung haben Blutungen in die Körperhöhlen und intraabdominelle Perforationen, schwere operativ behandlungsbedürftige Schädel-Hirn-Traumata, Verletzungen von Becken und langen Röhrenknochen sowie Wirbelsäulenverletzungen immer Behandlungspriorität vor Verbrennungen [1, 2]. Die erste operative Behandlung erfolgt im Sinne einer „Damage Control Surgery“ bzw. „Damage Control Orthopedic Surgery“ mit dem Ziel der Beherrschung der akut lebensbedrohlichen Situation unter gleichzeitiger Begrenzung der zusätzlichen Traumabelastung durch den notwendigen operativen Eingriff.  Hier sind Blutungskontrolle, Entlastungen von Kompartimenten und Körperhöhlen (Cranium, Thorax, Abdomen) sowie Stabilisierung großer Röhrenknochen mit externen Fixateuren (Abbildungen 1, 2, 3 und 4), ggf. auch Amputationen, als primäre Maßnahmen zu nennen. Im Rahmen der ersten notfallmäßigen operativen Phase werden auch bedrohliche verbrennungsinduzierte Traumafolgen mit Escharotomie und Kompartmentspaltung (Abbildung 7) behandelt.  Im Anschluss erfolgt die intensivmedizinische Stabilisierung mit Therapie der systemischen inflammatorischen Antwort des Organismus auf das Trauma einschließlich der konsequenten Behandlung von Hypothermie, Koagulopathie und Azidose. Bei großflächigen Verbrennungen - mit durch Verbrennungskrankheit und ggf. durch ein thermisches oder toxisches Inhalationstrauma verursachter hochkomplexer Störung der Vitalfunktionen-  besteht darin eine besonders anspruchsvolle Aufgabe.  Nach Stabilisierung erfolgt im besten Fall beginnend nach fünf bis zehn Tagen die sequenzielle definitive chirurgische Versorgung [8, 9].
Die  definitive unfallchirurgische Versorgung umfasst die Behandlung der individuellen Verletzungsfolgen. Hier stehen  zunächst die Weichgewebsverletzungen im Vordergrund mit dem Ziel des Erreichens von vitalen und infektfreien Wunden. Durch wiederholte Debridements mit konsequenter Nekrektomie und Verbänden unter Verwendung sowohl antimikrobieller Agentien als auch dem Einsatz  einer Vakuumtherapie kann dieses Ziel erreicht werden.  Gleiches gilt für Verbrennungswunden. Eine bei lokal begrenzten thermomechanischen Verletzungen angestrebte definitive Frühversorgung von Frakturen kann beim Polytraumatisierten häufig nicht erreicht werden.
Bei  optimaler Wundsituation erfolgt dann die Weichgewebsrekonstruktion unter Verwendung von Spalthaut, lokalen, regionalen oder freien Lappenplastiken. Nach rekonstruierten und infektfreien Weichgeweben kann die definitive Stabilisierung der knöchernen Verletzungen erfolgen.
Das Therapiemanagement bei thermomechanischen Kombinationsverletzungen unter Einsatzbedingungen entspricht prinzipiell den o. a. Algorithmen. Die Schockraumversorgung nach ATLS® Protokoll sowie die radiologische Diagnostik und die chirurgische Erstintervention sind eingeschränkt in Sanitätseinrichtungen der Ebene 2 (Rettungszentrum) und vollumfänglich in solchen der Ebene 3 (Einsatzlazarett) möglich. Die folgende intensivmedizinische und definitiv-rekonstruktive Phase kann in diesen Sanitätseinrichtungen aus materiellen bzw. infrastrukturellen Gründen nicht sichergestellt werden. Daher ist nach der ersten Behandlungsphase die Repatriierung vorzusehen, um in den BwKrhs die weitere Versorgung vorzunehmen.

Komplikationen der Behandlung thermomechanischer Kombinationsverletzungen

Die Behandlung der thermomechanischen Kombinationsverletzung ist häufig mit Auftreten der für diese Entität typischen Komplikationen vergesellschaftet. Die meist ausgeprägten Weichgewebsverletzungen zusammen mit der traumatisch bedingten Reduktion der Immunabwehr führen zu Wundinfekten, bei freiliegendem Knochen oder offenen Frakturen auch zu Infekten des Knochens. Während in der Frühphase der Behandlung die Gefahr eines septischen Krankheitsbildes droht, das die Stabilisierungsphase beeinträchtigt und im Zusammenwirken mit der posttraumatischen Systemreaktion und einer ggf. vorliegenden Verbrennungskrankheit über ein Multiorganversagen nicht selten letal endet, bestehen nach der Stabilisierung eher lokale Beeinträchtigungen wie infizierte Weichgewebe, Fistelbildungen und chronische Osteitiden. Diese Komplikationen bedürfen eines klaren Behandlungskonzeptes mit Expertise im Bereich der septisch-plastischen Chirurgie.
Zunächst ist hierbei eine bildgebende Diagnostik erforderlich. Einerseits geben Röntgenbilder mit und ohne Kontrastmittel Aufschluss über das Vorliegen von Fistelsystemen, Pseudarthrosen und Sequestern, andererseits ist die Schnittbildgebung einschließlich Magnetresonanztomografie (MRT) zur Abschätzung des Gesamtausmaßes der Entzündungsreaktion sinnvoll. Das operative Therapiemanagement erfordert ein radikales Debridement mit Resektion von Fisteln, infizierten Nekrosen und infiziertem Knochen (Abbildung 5 und 6). Gewebeproben zur mikrobiologischen Diagnostik sind obligat. In Defekte werden antibiotikahaltige Platzhalter eingebracht, zum Beispiel gentamycinhaltige Polymethymetacrylat (PMMA)-Ketten. Bei knöchernen Instabilitäten ist auch im Rahmen der septischen Chirurgie die Stabilisierung vorzugsweise im Fixateur externe erforderlich, um die Synergie von Instabilität und Infekt zu durchbrechen. Nach Beherrschen des Infektes erfolgt die plastische Weichteilrekonstruktion, die von der Sekundärnaht bis zur freien mikrochirurgischen Lappenplastik reichen kann. Bei knöcherner Beteiligung kann die Rekonstruktion des Knochens erst nach sicherer Weichteildeckung durchgeführt werden.
Neben Knochenverlust durch operative Behandlung von Osteitiden mit Resektion von avitalem oder infiziertem knöchernen Gewebe kann durch eine Explosionsverletzung selbst bereits ein Knochenverlust hervorgerufen werden. Im günstigsten Falle wird eine Amputation vermieden werden können. So stellt sich im weiteren Verlauf der Therapie die Herausforderung der Rekonstruktion von knöchernen Defekten. Voraussetzung hierfür ist eine infektfreie und konsolidierte Weichgewebssituation. Unterschieden werden müssen Defekte mit und ohne Gelenkbeteiligung, die Strategien sind abhängig von der Größe des jeweiligen Defektes.
Bei knöchernen Defekten ohne Gelenkbeteiligung im Bereich der langen Röhrenknochen können kleine Defekte unter Verkürzung der Extremität osteosynthetisch versorgt werden, ggf. unter Einsatz zusätzlicher osteokonduktiver, -induktiver oder auch –genetischer Agenzien mit einer Planung des Längenausgleiches nach knöcherner Konsolidierung. Häufiger erfolgt allerdings die Osteosynthese unter Erhalt der Extremitätenlänge mit Defektauffüllung durch autologe Spongiosa, ggf. ergänzt durch keramische Knochenersatzmaterialien, plättchenreichem Plasma (platelet rich plasma, PRP) oder auch Knochenwachstumsfaktoren (z. B. bone morphogenetic protein, BMP). Bei mittelgroßen Defekten stellt das Verfahren nach Masquelet eine gute Option dar, indem der Defekt in einem ersten Eingriff mit Knochenzement ausgefüllt wird. Um diesen Zement bildet sich im Verlauf von wenigen Wochen eine gefäßreiche Membran als Ersatz einer Knochenhaut. Unter Erhalt dieser Membran wird dann der Zement gegen Spongiosa ersetzt. So können auch mittelgroße Defekte zur knöchernen Konsolidierung gebracht werden [10]. Als Rekonstruktionkonzept bei langstreckigen Knochendefekten hat sich die Kallusdistraktion im Sinne eines Segmenttransportes bewährt. Hierbei wird der vorhandene verbleibende Knochen osteotomiert und ein Knochensegment mit Hilfe eines Transportsystems durch den Defekt transportiert. Bei einer Transportgeschwindigkeit von 1 mm / Tag und erhaltenem Periost erfolgt im Bereich der Osteotomie eine kallöse Knochenneubildung. So können theoretisch bei einem mindesten 3 cm langen Transportsegment fast beliebig lange Defektstrecken knöchern überbrückt werden. Als Transportsysteme haben sich Transportfixateure mit Ringsystemen nach Ilizarov bewährt, als Alternativen mit jeweils eigenen Indikationen stehen monolaterale Systeme, Kombinationen von monolateralen Systemen mit intramedullären Kraftträgern als „Schiene“ für das Transportsegment oder auch ausschließlich intramedulläre Verfahren zur Verfügung.
Knöcherne Defekte der Gelenkflächen könne durch Teilersatz oder Totalendoprothese mit Funktionserhalt der Gelenke rekonstruiert werden. Abhängig von Defektausmaß, Begleitverletzungen mit Beeinträchtigung der stabilisierenden Weichteile und Funktionszustand ist auch die Arthrodese von Gelenken in die therapeutischen Erwägungen mit einzubeziehen.

Diskussion

Neben Schussverletzungen stellen Explosionsverletzungen durch Improvised Explosive Devices (IED) die wesentliche Verletzungsursache in modernen Kriegen dar [3]. Kenntnisse der Traumakinematik durch detonierende Sprengkörper sowie der Behandlungsstrategien dieser Verletzungen sind daher für den Einsatzchirurgen unerlässlich. Während in den zivilen Verbrennungszentren in Deutschland insgesamt jährlich lediglich etwa 1 500 Patienten mit thermomechanischen Kombinationsverletzungen behandelt werden - und  davon nur ein sehr geringer Anteil mit Explosionsverletzungen -  hat die Militärchirurgie durch den Einsatz in Afghanistan und die Behandlung libyscher, syrischer und ukrainischer Kriegsverletzter mit Explosionstraumata eine spezielle Expertise bei der Behandlung dieser Verletzungen erworben.
Die primäre Versorgung von Explosionsverletzungen benötigt eine  breite chirurgische  Kompetenz mit Fertigkeiten aus den Gebieten der Unfallchirurgie und Verbrennungsmedizin, Neurochirurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Diese Fähigkeiten werden in ihrer Breite von den Weiterbildungsordnungen der Ärztekammern mit ihrer zunehmenden Spezialisierung und Anpassung des geforderten Operationskataloges an die zivilen Versorgungsrealitäten nicht mehr uneingeschränkt vermittelt. Die chirurgische Weiterbildung im Sanitätsdienst der Bundeswehr berücksichtigt dieses Dilemma und bildet Chirurgen aus, die weiterhin die Fähigkeit der Versorgung von thermomechanischen Kombinationsverletzungen im Einsatz in den Einrichtungen der Behandlungsebenen 2 und 3 haben. Dies wird auch bei Änderungen der Weiterbildungsordnung ein Ziel mit hoher Priorität sein müssen.
Nach primärer Behandlung einer Explosionsverletzung sowie deren Überleben stehen im weiteren Verlauf die Maßnahmen der Rekonstruktion von Weichteil- und Knochendefekten zunehmend im Vordergrund der Therapiestrategie. Diese Behandlungsmaßnahmen sind nicht mehr im Einsatzland möglich, sie sind Aufgaben der BwKrhs. Um ein optimales Behandlungsergebnis zu erzielen, sind daher die Fähigkeiten der Krankenhäuser im Bereich der septischen und der plastischen Chirurgie, der physiotherapeutischen Nachbehandlung und auch der Exo- und Endoprothetik zu erhalten bzw. herzustellen. Diese Fähigkeiten können - abhängig von der speziellen Situation und Einbindung der Häuser - sowohl autark als auch in Kooperationen entwickelt und erhalten werden.

Fazit

Explosionsverletzungen folgen einer speziellen Kinematik und sind aufgrund der Häufigkeit in militärischen Auseinandersetzungen eine einsatzrelevante Entität.
Der Einsatzchirurg muss die Fähigkeit besitzen, die komplexen Verletzungsmuster zu behandeln. Diese Fähigkeit wird in der Ausbildung von Sanitätsoffizieren zum Chirurgen in den BwKrhs vermittelt.
Für die nach primärer Behandlung von Explosionsverletzungen notwendigen intensiven rekonstruktiven chirurgischen Therapien zum Ersatz von geschädigtem Weichgewebe und Knochen sowie zur Beherrschung von typischen Komplikationen müssen deshalb in den BwKrhs die Verfahren der septischen und der plastischen Chirurgie und der begleitenden physiotherapeutischen Behandlungskonzepte verfügbar sein.

Literatur

  1. Wölfl CG, Wölfl A, Wentzensen A, von Gregory H.  Notfallmanagement von Schwerbrandverletzten. Notfall Rettungsmed  2007; 10:375–387
  2. Jester A, Hoppe U. Präklinische Erstversorgung von Brandverletzten Trauma Berufskrankh  2008; 10[Suppl 3]:322–326
  3. Lechner R, Achatz G, Hauer T,  Palm HG, Lieber A, Willy C. Verletzungsmuster und -ursachen in modernen Kriegen Unfallchirurg 2010; 113(2):106–113
  4. Plurad DS, blast injury. MilMed 2011;176(3): 276-282
  5. Born CT. Blast trauma: the fourth weapon of mass destruction. Scand J Surg 2005; 94(4): 279-285
  6. Weil YA, Mosheiff R, Liebergall M. Blast and penetrating fragment injuries tot he extremities. J Am Acad Orthop Surg 2006;14(10 Spec No) : S136-S139
  7. Champion HR, Holcomb JB,Young LA. Injuries from expöosion: physics, biophysics, pathology, and required research focus. J Trauma 2008; 66(5): 1468-1477
  8. Ramasamy A, Hill AM, Clasper J. Improvised explosive devices: Pathophysiology, injury profiles And Current Medical Management. JR Army Med Corps 2009; 155(4): 265-277
  9. Flohe S, Nast-Kolb D, Surgical management of life threatening injuries. Unfallchirurg 2009; 112(10): 854-859
  10. Masquelet AC, Begue T (2010) The concept of induced membrane for reconstruction of long bone defects. Orthop Clin North Am 41:27–37

Datum: 13.02.2015

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2014/12

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