13.12.2012 •

LIPOBLASTOM DER HALSWEICHTEILE – FALLDARSTELLUNG EINES SELTENEN WEICHTEILTUMORS AUS DEM RETTUNGSZENTRUM KUNDUZ

Cervical Lipoblastoma - Case Report of a rare cervical Soft Tissue Tumour at Rescue Center Kunduz



Aus der Abteilung XIV Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie (Leiter: Oberstarzt

Priv.-Doz. Dr. E. Kollig)¹, der Abteilung II Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie & Zentrum für Viszeralmedizin (Leiter: Oberstarzt Priv.-Doz. Dr. R. Schwab)² und der Abteilung XIII Pathologie (Leiter: Oberstarzt Dr. T. Göller)³ am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz (Chefarzt: Generalarzt Dr. M. Zallet)



Andreas Grözinger¹, Erich Sieber³ und Robert Schwab²

Eine Herausforderung für Chirurgen der Bundeswehr im Einsatz ist die Behandlung von Krankheitsbildern, die im Heimatland nur selten anzutreffen sind. Anhand einer Falldarstellung eines Lipoblastoms der Halsweichteile werden die Diagnostik und Therapie einer seltenen Tumorerkrankung unter den Bedingungen im Einsatzland und die nachfolgende histologische Aufarbeitung dargestellt und nachfolgend diskutiert.

Dieses Beispiels zeigt, dass auch Tumorleiden im Einsatz unter engen Voraussetzungen erfolgreich behandelt werden können. Die Limitierungen bei der Behandlung von Tumoren in den jeweiligen Einsatzländern sind dabei streng zu beachten.

Summary

One of the challenges for military surgeons of the Bundeswehr during missions is the treatment of diseases, which are not common at home. The following case report of a cervical lipoblastoma describes and further discusses the diagnostics and treatment of such a rare tumour disease under the circumstances in the host country and the subsequent histological differentiation. This example shows that, with restrictive prerequisites, tumour diseases can be successfully treated under the circumstances of military medicine on missions. The limits in the further treatment of tumour diseases in the respective host countries have to be closely considered.

1. Einleitung

Bei Auslandseinsätzen treffen Einsatzchirurgen der Bundeswehr immer wieder auf Krankheitsbilder, die in ihrer Art und Ausprägung im normalen Klinikalltag in der Heimat nur selten auftreten. Nachfolgend wird dazu ein Kind mit einem ausgeprägten klinischen Bild eines Weichteiltumors vorgestellt, das im ISAF-Einsatz untersucht und behandelt wurde. Die spätere histologische Untersuchung im Bundeswehrzentralkrankenhaus ergab ein Lipoblastom als äußerst seltenen Weichteiltumor, der bevorzugt bei Kindern bis zum 3. Lebensjahr auftritt [1, 2].
Am häufigsten entsteht dieser Tumor an den Extremitäten und am Rumpf; seltener im Bereich des Kopfes und Halses [2]. In der internationalen, englischsprachigen Literatur finden sich nach aktuellem Stand lediglich 35 beschriebene Fälle eines Lipoblastoms im Halsbereich [4].

2. Der Fall

Der Patient, ein etwa 2-jähriger Junge, wurde von seinem Vater aufgrund einer ausgeprägten Raumforderung an der rechten Halsseite in der Sprechstunde des Rettungszentrums Kunduz vorgestellt. Der Vater berichtete, dass die Raumforderung kurz nach der Geburt aufgetreten sei und stetig an Größe zugenommen habe. Das Kind sei vielfach bei einheimischen Ärzten vorgestellt worden, aber man habe dort keine Therapiemöglichkeit gesehen.
In der körperlichen klinischen Untersuchung fiel ein ausgeprägter Tumor an der rechten Halsseite mit einem Durchmesser von 20x12x10 cm auf (Abb 1). Palpatorisch fand sich ein prall-elastischer Tumor ohne Druckschmerz, der soweit durch den ausgeprägten Befund möglich, gegen das umliegende Gewebe verschiebbar war. Es lagen keine klinischen Infektzeichen vor. Palpatorisch zeigte sich ein regelrechter Lymphknotenstatus. Der Junge war altersgerecht entwickelt und in normalem Allgemein- und Ernährungszustand. Er wies keine weiteren auffälligen Befunde in der körperlichen Untersuchung und im Routinelabor auf. Sonografisch stellte sich die Raumforderung als solider Tumor im Fettgewebe dar. Pathologisch vergrößerte Lymphknoten oder Infiltrationen waren nicht nachweisbar.
Der Patient wurde zur weiterführenden Diagnostik mittels CT im Einsatzlazarett Masar-e-Sharif vorgestellt. Im CT des Halses mit Kontrastmittel war ein Tumor des Fettgewebes im Sinne eines gigantischen Lipoms oder Liposarkoms der rechten Halsseite sichtbar (Abb 2). Ventral erstreckte sich der Tumor bis in Höhe der Clavicula, dorsal zwischen den oberen Anteil der Scapula und die Thoraxwand und nach kranial bis an das Occiput. Nach medial reichte der Tumor bis an die Halsgefäße ohne Anzeichen für infiltratives Wachstum. Auch im CT fand sich kein auffälliger lokaler Lymphknotenstatus.
Nachdem die radiologische Diagnostik einen eindeutigen Hinweis auf einen atypischen lipomatösen Tumor ergab (hoch differenziertes Liposarkom nach alter Nomenklatur), bei dem die vollständige chirurgische Entfernung eine kurative Therapie darstellt [3], wurde die Indikation zur Tumorresektion gestellt.Es erfolgte eine vollständige Tumorresektion im Gesunden unter Mitnahme der angrenzenden Halslymphknoten (Abb 3). Das Präparat (Abb 4) wurde fixiert und zur histopathologischen Untersuchung in das Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz verschickt.
In der makroskopischen Untersuchung stellte sich ein 484,3 g schweres Resektat von 13x10x7 cm Größe, derb und gekapselt mit einer grau-weißen Schnittfläche dar. Ein umschriebener Kapseldefekt wurde mit einem Faden markiert. Dazu passend war ein knotiges Resektat von 2,5x1,5x1,4 cm Größe mit zwei beiliegenden Lymphknoten von jeweils 1 cm Größe.
Die mikroskopische Untersuchung ergab nach Lamellierung, Einbettung und Anfertigung von Spezialfärbungen größtenteils gekapseltes Geschwulstgewebe mit vorherrschend adipozytärer Differenzierung und Einstreuung faserreicher Abschnitte zwischen den Adipozyteninseln. Die Adipozyten wiesen keine höhergradigen Kernatypien auf, wobei aber immer wieder charakteristische Lipoblasten zu erkennen waren (Abb 5). Eine auffällige mitotische Aktivität war nicht vorhanden.
Das Reaktionsmuster der immunhistochemischen Untersuchung zeigte einen positiven Adipozytennachweis durch den S100-Antikörper, einen negativen Befund für MDM2 und HMB45, ebenso für Ki67 und somit keinen Hinweis auf proliferative Aktivität oder auf eine mitotische Aktivität durch Phosphoprotein.
Der Befund ließ an ein hoch differenziertes sklerosierendes Liposarkom beziehungsweise an einen atypischen lipomatösen Tumor denken.
In den Lymphknoten waren aktivierte Lymphfollikel ohne Tumorformationen im Sinne von tumorfreien regionären Lymphknoten mit reaktiven Veränderungen nachweisbar.
Das kleinere Resektat konnte durch die Fadenmarkierung dem Hauptresektat zugeordnet werden, sodass letztendlich von einer vollständigen Tumorentfernung ausgegangen werden kann.
Im Rahmen der interdisziplinären Tumorkonferenz am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz wurde der vorliegende Fall vorgestellt und dabei auch der histopathologische Befund abschließend eingehend betrachtet. In Zusammenschau mit dem klinischen Bild und vor dem Hintergrund der Literatur wurde der Tumor letztendlich als Lipoblastom befundet.

3. Diskussion

Das hoch differenzierte Liposarkom beziehungsweise der atypische lipomatöse Tumor wird in der Regel bei Erwachsenen im mittleren Lebensalter festgestellt [5]. Das Lipoblastom, das ein ähnliches histologisches Erscheinungsbild bietet, wird dagegen typischerweise bei Kindern bis zum 3. Lebensjahr gefunden [2]. Nur in Einzelfällen wurde diese Tumorentität jenseits des 10. Lebensjahres beobachtet [6].
Ultraschall, CT und MRT stellen die üblichen präoperativen diagnostischen Maßnahmen dar, wobei aber selbst die MRT-Diagnostik kein einheitliches Bild zeigt, sodass die exakte Diagnose in der Regel postoperativ anhand der histologischen Untersuchung erfolgt [6, 7].
Eine weitere histologische Differenzierung ist durch eine zytogenetische Untersuchung möglich. Man kann hier häufig eine Aberration im Chromosom 8 mit Veränderung des PLAG1–Gens finden, die in anderen Fettgewebstumoren nicht vorkommt [8].
Bedingt durch den langen Transport des formalinfixierten Gewebematerials aus dem Einsatzland nach Deutschland war eine zytogenetische Diagnostik jedoch nicht mehr möglich.
Im vorgestellten Fall wurden mit der Ultraschall- und CT-Diagnostik alle Möglichkeiten zur apparativen Diagnostik im Einsatzland ausgenutzt. Anhand dieser Diagnostik, ohne Hinweis auf ein infiltratives Wachstum, und des klinischen Bildes konnte der Tumor in die Gruppe der atypischen lipomatösen Tumoren eingeordnet werden und eine Therapieentscheidung erfolgen.
Retrospektiv, nach Kenntnis der Tumorentität, zeigt sich im Vergleich zu den wenigen ähnlichen Fällen in der Literatur eine Übereinstimmung in der CT-Morphologie der jeweils beschriebenen Tumoren [4].
Im Fall des Lipoblastoms besteht die adäquate Therapie in der vollständigen chirurgischen Resektion. Rezidive wurden nur bei unvollständiger Resektion oder diffuser Ausbreitung beschrieben [1]. Dies gilt in gleicher Weise für alle Weichgewebstumoren vom Typ des atypischen lipomatösen Tumors oder des hoch differenzierten Liposarkoms [3].Mit der alleinigen Resektion als Möglichkeit zu kurativen Therapie bot sich eine dankbare Indikation für die chirurgische Tumortherapie auch unter Einsatzbedingungen.
In diesem Zusammenhang muss jedoch ausdrücklich vor einer Resektion von Weichteiltumoren im Einsatzland ohne vorangegangene ausführliche Diagnostik gewarnt werden. Insbesondere in Afghanistan besteht im Fall von Tumoren mit der Neigung zur Metastasierung in der Regel kein Zugang der einheimischen Patienten zu einer weiterführenden onkologischen Therapie. Ebenso kritisch muss die definitive Tumorversorgung in Form von Amputationen bei malignen Knochen- und Weichteiltumoren gesehen werden. Auch hier ist in der Regel eine rehabilitative Therapie für die Patienten nicht möglich und eine prothetische Versorgung oft nur in Einzelfällen realisierbar.
Es bleibt weiterhin kritisch anzumerken, dass in diesem Einzelfall eine suffiziente präoperative Diagnostik mit den im Einsatz verfügbaren Ressourcen möglich war. In anderen Fällen von Tumoren des Bewegungsapparates stellt die fehlende Möglichkeit der MRT-Diagnostik im Einsatz gleichzeitig eine Limitierung der Therapiemöglichkeit dar, wenn die MRT-Diagnostik zur Bestimmung der Entität unumgänglich ist.
Auch Inzisionsbiopsien sind bei fraglicher Entität kritisch zu bewerten. Zum einen kann die lange Transportzeit und notwendige Fixierung der Proben eine eindeutige Bewertung erschweren. Zum anderen stellt der Nachweis eines malignen Tumors den Chirurgen im Einsatz vor ein Dilemma, da eine Inzisionsbiopsie, ebenso wie die Exzisionsbiopsie mit dem Nachweis eines malignen Tumors, eine weitere definitive Therapie bei der Planung berücksichtigen muss [9]. Eine adäquate onkologische Therapie und Tumornachsorge ist im Einsatzland aber oft nicht möglich und auch die sanitätsdienstlichen Einrichtungen sind im Einsatz, ihrem eigentlichen Zweck entsprechend, nicht dafür ausgelegt.

4. Schlussfolgerungen

Unter bestimmten Bedingungen lassen sich Weichteiltumoren auch unter Einsatzbedingungen erfolgreich therapieren. Das Lipoblastom als seltene Entität stellt, wie die gesamte Gruppe der atypischen lipomatösen Tumoren, eine dankbare Indikation dar, da die Patienten, wie im vorliegenden Fall, durch ein oft ausgeprägtes Tumorwachstum erheblich behindert sind und die vollständige chirurgische Resektion die kurative Therapie ermöglicht.
Auf die Ausnutzung aller verfügbaren diagnostischen Mittel und die enge Indikationsstellung zur Therapie von Weichteiltumoren im jeweiligen Einsatzland muss in jedem Fall geachtet werden. Letztere kann sich aufgrund der lokalen Möglichkeiten der Nachsorge oder weiteren onkologischen Therapie im Einsatzland erheblich von den Bedingungen in Deutschland unterscheiden.

Literatur

  1. Mentzel T, Calonje E, Fletcher CD: Lipoblastoma and lipoblastomatosis: A clinic pathological study of 14 cases. Histopathology 1993; 23: 527-533.
  2. Chung E, Enzinger FM: Benign lipoblastomatosis. An analysis of 35 cases. Cancer 1973; 32: 482-492.
  3. Katenkamp K, Katenkamp D: Soft tissue tumors – new perspectives on classification and diagnosis. Dtsch Aerztebl Int 2009; 106: 632-636.
  4. Anantharajan N, Ravindranathan N: Parotid lipoblastoma in a child: Rare presentation as huge infra temporal mass with cervical extension. Indian J Plast Surg 2010; 43: 84-87
  5. Dei Tos AP: Liposarcoma: New entities and evolving concepts. Ann Diag Path 2000; 4: 252-266.
  6. Nagano A, Ohno T, Nishimoto Y, Hirose Y, Miyake S, Shimizu K: Lipoblastoma mimicking myxoid liposarcoma: A clinical report and literature review. Tohoku J Exp Med 2011; 223: 75-78.
  7. Antoniou D, Soutis M, Christopoulos-Geroulanos G, Stefanaki K: A case of maturing perineal lipoblastoma in an infant. Med Princ Pract 2009; 18: 335-338.
  8. Gisselsson D, Hibbard MK, Dal Cin P et al.: PLAG1 alterations in lipoblastoma. Involvement in varied mesenchymal cell types and evidence for alternative oncogenic mechanisms. Am J Pathol 2001; 159: 955-962.
  9. Mankin HJ, Lange TA, Spanier SS: The hazards of biopsy in patients with malignant primary bone and soft tissue tumors. J Bone Joint Surg 1982; 64 A: 1121-1127.

Bildnachweis:
Abbildungen 1, 3, 4 links: Dr. A. Grözinger
Abbildung 2: Radiologie EinsLaz M-e-S
Abbildung 4 (rechts) und Abbildung 5: Dr. E. Sieber, Abt. XIII, Bundeswehrzentralkrankenhaus KOBLENZ.

Datum: 13.12.2012

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/11-12

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