21.08.2012 •

    GESUNDHEIT UND LEISTUNG IM KLIMA

    2. Mitteilung: Kälte



    Health and Performance in Climate

    2nd Communication: Cold



    Aus der Laborabteilung VI -Wehrmedizinische Ergonomie und Leistungsphysiologie (Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. Dr. D. Leyk) am Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz (Leiter: Flottenarzt Dr. H. Bergmann)¹, dem Institut und der Poliklinik für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin und Präventionsforschung der Universität zu Köln² und dem Institut für Physiologie und Anatomie der Deutschen Sporthochschule Köln³



    Karl Jochen Glitz¹, Uwe Seibel¹, Willi Gorges¹, Claus Piekarski² und Dieter Leyk¹,³

    Hintergrund: Die veränderte Lebensführung der Menschen in der heutigen Gesellschaft hat auch eine Verringerung extremer Klimaexpositionen mit sich gebracht. Das trifft insbesondere für die Kälte zu, deren Wirkung im gewerblichen oder industriellen Bereich durch Arbeitsschutzmaßnahmen weitgehend erträglich gestaltet werden kann.

    Durch die Kombination mit weiteren Stressoren (Immobilität, Schlafdeprivation, Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel etc.) sind unter militärischen Bedingungen Kälteexpositionen in ihrer Auswirkung auf den Menschen viel extremer als im Zivilleben und erfordern umfangreiche und spezielle Präventionsstrategien.

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    Abb 1: Gebirgsjäger beim Iglubau während einer Vor-Ort-Analyse der Koblenzer Forschungs- und Entwicklungseinrichtung (Foto: BwZKrhs Koblenz. Laborabteilung IV)

     

     

     

     

    Methoden:

    Literaturstudien, Labor- und Felduntersuchungen der Koblenzer Forschungs- und Entwicklungseinrichtung im Rahmen der Umweltergonomie und Bekleidung

    Ergebnisse:

    Gefahren der Kältewirkung und geeignete präventive Maßnahmen werden ebenso wie die Methodenentwicklungen beim Kälteschutz der Hände beschrieben.

    Schlussfolgerungen:

    Die Anwendung klimaund thermophysiologischer Kenntnisse ist Voraussetzung für den Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei einer Kälteexposition im militärischen Kontext.

    Summary

    Background:

    Due to the changed lifestyle in today’s society, people are less frequently exposed to extreme climates. Particularly the effects of cold can be reduced to a tolerable level by occupational safety measures in the commercial or industrial area. However, as a result of additional stressors (immobility, sleep deprivation, food and fluid deficit etc.) cold effects can be severe in military settings and, therefore, require extensive and special prevention strategies.

    Method:

    Literature studies, laboratory and field tests by the research and development department to develop prevention strategies in the area of environmental ergonomics and clothing.

    Results:

    The current paper describes hazards of the cold as well as suitable preventative measures. In addition the development of special methods in the field of cold protection of the hands is presented.

    Conclusions:

    The application of climate and thermal physiological knowledge is a requirement for the preservation of health and performance if cold exposures occur in military contexts.

    Einleitung

    Während der kalten Jahreszeit werden Freizeitaktivitäten im Freien reduziert und auch längere Fußwege in der Kälte entfallen durch die Nutzung von Kraftfahrzeugen. Die meisten Innenräume sind angenehm temperiert, selbst wenn es sich nicht um Wohnräume oder Arbeitsstätten handelt, wie zum Beispiel Einkaufspassagen, Flughafenhallen etc.. Im Erwerbsleben (Straßenbau, Kühlhausarbeit, Erdölexploration etc.) können die Auswirkungen von Kälte auf den Menschen durch geeignete Arbeitsschutzmaßnahmen weitgehend gemildert werden, sodass belastende Kälteexpositionen im zivilen Alltag selten geworden sind.

    Bei militärischen Einsätzen sind diese allerdings unvermeidbar (Abb 1). Ist der Faktor Kälte zusätzlich noch mit weiteren Stressoren (Immobilität, Schlafdeprivation, Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel etc.) verbunden, sind die Auswirkungen auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit viel extremer als im zivilen Bereich und erfordern eine Prävention, die an militärische Bedürfnisse angepasst ist.

    Kältewirkung

    In der Kälte muss sich der Organismus vor einem zu großen Wärmeverlust schützen, um seine Körperkerntemperatur von 37 °C zu erhalten. Aufgrund eines ungünstigen Volumen-Oberflächen- Verhältnisses verliert der Körper über die Extremitäten überproportional viel Wärme. Durch Vasokonstriktion wird deshalb die Blutversorgung der Peripherie und auf diesem Wege der Wärmeverlust reduziert (Abb 2a und b). In der Folge ist dieser zwar verringert, jedoch kühlen die Extremitäten auch schneller aus, wobei die Durchblutung der Finger im Verhältnis 1 : 600 und die der Hand etwa 1 : 30 variieren soll (1, 2, 3).

    Wirken tiefe Umgebungstemperaturen und mangelhafte Bekleidungsisolation zusammen, kann insbesondere die Blutversorgung von Füßen und Händen soweit reduziert werden, dass lokale Kälteschäden auftreten. Der Pathomechanismus besteht im Wesentlichen in einer Gewebserstickung durch Sauerstoffmangel. In Extremfällen ist sogar ein völliges Durchfrieren mit Zerstörung der Zellstruktur möglich [vergl. Pierkarski (4)].

    Kälte kann aber auch eine Hypothermie des gesamten Körpers hervorrufen. Durch das Absinken der Körperkerntemperatur verringern sich die Herz- Kreislauftätigkeit und die Atmung. Im weiteren Verlauf können durch kälteinduzierte Störungen des Elektrolythaushaltes lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen und eine partielle Kältehämolyse auftreten. Sauerstoffmangel kann schließlich zum Erfrierungstod führen.

    Eine akzidentelle Hypothermie durch Immersion im kalten Wasser führt beim Absinken der Körperkerntemperatur in die Größenordung von 25 °C zum Tode. Aufgrund der hohen Wärmeleitfähigkeit von Wasser ist dies ohne entsprechende Überlebensanzüge bereits nach wenigen Minuten möglich. Allerdings sind auch außergewöhnliche Einzelfälle bekannt, bei denen zum Beispiel Kinder nach dem Einbrechen in Eisflächen, einer schnellen Abkühlung und der anschließenden medizinischen Maximaltherapie, unter anderem Erwärmung über extrakorporalen Kreislauf, noch geringere Kerntemperaturen überlebt haben.

    Neben einer vasomotorisch gesteuerten Verringerung der Wärmeabgabe verfügt der Organismus aber auch über die Fähigkeit, die metabolische Wärmeproduktion in der Kälte zu steigern (5): Verglichen mit körperlicher Ruhe im thermischen Neutralbereich kann die Stoffwechselrate um den Faktor 10 bis 20 erhöht werden. Dabei ändern sich die Anteile der beteiligten „Wärmequellen“. Während unter neutralen Bedingungen circa 80 % der Stoffwechselwärme in den inneren Organen und etwa 20 % in der Muskulatur erzeugt werden, kehrt sich dieses Verhältnis auf entsprechend höherem Niveau um. Anzeichen dieser gesteigerten Wärmeproduktion in der Muskulatur sind beispielsweise das Auftreten von Muskelzittern und eine Zunahme der Herzfrequenz, die mit geringen Blutdruckanstiegen einhergeht.

    Durch diesen „Schutzmechanismus“ erhöht der Körper allerdings nur vorübergehend seine Wärmeproduktion. Militärische Einsätze sind jedoch häufig mit langen Einwirkzeiten von Kälte und Wind bei gleichzeitiger Immobilität verbunden, sodass der Organismus ein Auskühlen schließlich nicht verhindern kann und Soldaten besonders gefährdet sind: Unter den amerikanischen Streitkräften überstieg in der Ardennen- Offensive (1944/1945) die Anzahl der durch Erfrierungen nicht mehr einsatzfähigen Soldaten die Zahl der durch Waffenwirkung verwundeten Männer (6). Auch aus dem Falklandkrieg ist bekannt, dass 20 % der auf die Hospitalschiffe zurückgebrachten britischen Soldaten Kälteschäden erlitten hatten (7).

    Die Füße sind in der Kälte durch reduzierte Durchblutung, Immobilität, unzureichendes Schuhwerk etc. besonders benachteiligt. Im 2. Weltkrieg sollen 90 - 95 % der Erfrierungen an den Füßen aufgetreten sein (7). Dabei gab es jedoch auch verwendungsabhängige Unterschiede. Bei den auf Skiern eingesetzten Soldaten waren die Hände weitaus häufiger erfroren. Durch den festen Griff an den Skistöcken wurden die Gefäße mechanisch so komprimiert, dass sich die Blutzufuhr noch weiter verringerte. Zusätzlich waren die Unterarme durch das Hochrutschen der Ärmel beim Halten der Skistöcke ungeschützt der Kälte ausgesetzt.

    Kälteschäden können jedoch nicht nur bei Frost entstehen, sondern in Verbindung mit längerer Immobilität schon bei nasskalter Witterung mit Temperaturen über dem Gefrierpunkt, unter ungünstigen Bedingungen (Wind) sogar noch bei einer Umgebungstemperatur von +10 °C. Diese Erkrankungen traten in den Grabenkämpfen des 1. Weltkrieges als sogenannte „Grabenfüße“ oder „Immersionsfüße“ auf und sind auch aus dem Falklandkrieg („trench feet“ oder „shelter feet“) berichtet worden (7).

    Auch Soldaten der Bundeswehr haben beispielsweise während der Übungen des Heeres im I. Quartal 1985 Kälteschäden erlitten (8). Diese betrafen vor allem die Füße (65 %), in geringerem Ausmaß die Hände (25 %) und schließlich die Ohren (7,5 %) und die Lippen, Wangen, Nase (2,5 %).

     

     

     

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    Abb 2 und 3: Thermografie der Hände zu Beginn und am Ende einer einstündigen Kälteexposition (Foto: BwZKrhs Koblenz. Laborabteilung IV)

     

     

     

     

     

    Prävention

    Der Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit bei einer Kälteexposition ist nur durch die Beachtung geeigneter Präventionsmaßnahmen möglich. Dazu gehört vor allem ein angepasstes Verhalten. Sir Edmund Hillary verfügte nach eigenem Bekunden nicht über eine herausragende körperliche Leitungsfähigkeit; das Geheimnis seiner Erfolge war viel mehr ein planvolles Vorgehen und die Beachtung der eigenen sowie der Leistungsgrenzen seiner Gefährten. Sein Name ist hauptsächlich mit dem Mount Everest verbunden, und es ist weniger bekannt, dass Hillary auch den Südpol mit Traktoren erreicht hat. Für diese Expedition (1956 – 1958) führte er eine sorgfältige Personalauswahl unter Einbeziehung einer medizinischen Untersuchung der Teilnehmer durch (9).

    Personalauswahl

    Eine sichere Prognose über die Kältetoleranz eines Menschen ist bisher nicht möglich, sodass analog zur Hitzeexposition lediglich Ausschlusskriterien bestehen:

    Die Wahrscheinlichkeit von Kälteschäden kann durch akute Erkrankungen erhöht sein. Das trifft auch für chronische Erkrankungen unter anderem des Herz- Kreislaufsystems, der Atmungsorgane und der Nieren oder für den rheumatischen Formenkreis zu, die der berufsgenossenschaftliche Grundsatz für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung G 21 Kältearbeiten (10) aufführt. Darüber hinaus weisen Personen mit vorhergehenden lokalen Kälteschäden eine erhöhte Disposition für erneute Erkrankungen auf, die nicht zwingend die gleichen Körperregionen betreffen müssen.

    Kälteakklimatisation

    Die Anpassung des Organismus an die Kälte ist geringer ausgeprägt als die Hitzeakklimatisierung. Schon aus diesem Grunde sind die Mechanismen noch nicht umfassend aufgeklärt. Nach derzeitiger Auffassung bestehen drei physiologische Anpassungsmuster (11), die eine größere Kältetoleranz bewirken.

    Die Forschung stützt sich bei dieser Aufteilung auch auf den Vergleich von regelhaft kälteexponierten ethnischen Gruppen mit Bewohnern der gemäßigten Breiten: Die Inuit in der Nordpolarregion, die Samen in Lappland und die Alacaluf an der Magellan-Straße leben permanent in kalten Regionen. Rhythmisch kälteexponiert sind die japanischen und koreanischen Perltaucherinnen (Ama) durch geringe Wassertemperaturen (minimal: 10 °C) und auch die australischen Aborigines in klaren Nächten mit Lufttemperaturen um den Gefrierpunkt.

    Die Kältereaktionen der Menschen jenseits des nördlichen Polarkreises, der Samen und der Inuit, sind schwächer als bei der Bevölkerung der gemäßigten Zonen. Diese Habituation (Gewöhnung) der Bewohner der kalten Regionen führt durch ein vermindertes Kältezittern zu einem niedrigeren Energieumsatz und durch eine reduzierte periphere Vasokonstriktion zu höheren Hauttemperaturen im Vergleich zur Kälteexposition von Personen der gemäßigten Klimate (12). Durch die geringere metabolische Wärmeentwicklung und den größeren Wärmeverlust wird allerdings auch die Kerntemperatur schneller sinken, sodass die Bewohner der kalten Bereiche durch Verhaltensanpassungen (adäquate Bekleidungsisolation, schützende Unterkünfte) einen zu großen Wärmeverlust vermeiden müssen. Der Vorteil der Habituation besteht in einem höheren subjektiven thermischen Komfort und einer geringeren Gefährdung durch lokale Kälteschäden.

    Ein weiterer kältebedingte Anpassungsprozess ist die metabolische Adaptation. Beispielsweise passen sich die Alacaluf mit einer zumindest zeitweise gesteigerten Thermogenese an das maritime, nass-kalte Klima ihres Lebensraumes an (12). Diese Art der Anpassung scheint auch Menschen der gemäßigten Breiten möglich zu sein. Als auslösender Reiz werden wiederholte moderate Kälteexpositionen ohne signifikanten Kerntemperaturabfall diskutiert.

    Führt der wiederkehrende Kälteeinfluss zu einem Rückgang der Körperkerntemperatur, so kommt es zu einer isolativen Adaptation (12). Bei den Aborigines begrenzt eine verstärkte Vasokonstriktion und bei den Ama eine erhöhte Gewebeisolation den Wärmeverlust.

    Körperliche Leistungsfähigkeit und Erschöpfung bei Kälteexposition

    Eine geringe körperliche Leistungsfähigkeit führt in der Regel zur frühen Erschöpfung. Mit zunehmender Erschöpfung verringert sich die Kältetoleranz und die Gefahr von Kälteerkrankungen wird größer (13). Kälte erfahrene Nationen wie Finnland sehen daher in einer guten körperlichen Leistungsfähigkeit eine wesentliche Voraussetzung für Aufenthalte im kalten Klima ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen.

    Kommt es bei lang andauernden Kälteexpositionen mit körperlicher Überlastung, Schlafdeprivation etc. zur chronischen Erschöpfung und ist diese auch noch mit mangelnder Ernährung verbunden, ist das Leben der Betroffenen akut bedroht. Die Kombination dieser Faktoren war schließlich die Ursache für den Untergang der Südpolarexpedition von Sir Robert Falcon Scott, der auf dem Rückmarsch vom Pol mit seinen Kameraden im Jahre 1912 erfror. Dagegen gelang Roald Amundsen mit seiner Gruppe vier Wochen zuvor nicht nur die „Eroberung des Südpols“, sondern auch die sichere Rückkehr. Die bessere Organisation ihrer Expedition und ihre größere Erfahrung versetzten sie in die Lage, ihre Kräfte angemessen einzuteilen.

    Einfluss des Fettgewebes auf die Wärmeabgabe

    Das Fettgewebe ist relativ schlecht durchblutet und enthält wenig Wasser. Es ist somit ein guter Isolator und begrenzt die Wärmeabgabe aus den tieferen Gewebeschichten an die Körperoberfläche, da seine Wärmeleitfähigkeit ungefähr halb so hoch wie die der Skelettmuskulatur ist. Frauen haben normalerweise einen höheren Körperfettanteil als Männer. Das bewirkt einen langsameren Wärmeverlust bei einer Kaltwasserimmersion und erleichtert beispielsweise den zuvor genannten japanischen und koreanischen Perltaucherinnen die langen Aufenthalte im kalten Wasser. Allerdings verfügen Frauen auch über weniger Muskelmasse, in der Wärme gebildet wird, sodass im Allgemeinen geschlechtsspezifische Kältetoleranzunterschiede außerhalb des nassen Elements praktisch nicht zu verzeichnen sind.

    Energiebedarf bei militärischen Tätigkeiten in der Kälte

    Der Energiebedarf in der Kälte ist maßgeblich von der körperlichen Arbeit abhängig. Marschieren im lockeren Schnee, schwere Winterbekleidung, zusätzliche Winterausrüstung etc. haben einen höheren Anteil am „winterlichen“ Energieumsatz als die Umsatzsteigerung durch tiefe Umgebungstemperaturen im Rahmen der Thermogenese (14). Diese Umstände sind bei einer Abschätzung des Energiebedarfs zu berücksichtigen. In der Bundeswehr wird der Bedarf je nach körperlicher Belastung zwischen 15 000 – 19 000 kJ/d angesetzt (15). Geringere Umsätze sind bei sehr leichten Arbeiten möglich und auch geschlechtsspezifische Unterschiede sind zu beachten.

    Erfahrene Einsatzkräfte nehmen eine kleine energiereiche Mahlzeit unmittelbar vor einer Übernachtung im Schlafsack zu sich, da diese mit der spezifisch dynamischen Wirkung der Nahrung die nächtliche Körpertemperatur steigert und somit die Schlafqualität erhöht.

    Flüssigkeitshaushalt im kalten Klima

    Flüssigkeitsverluste entstehen durch das Schwitzen, über das Atmen und auch durch eine kälteinduzierte Diurese (CID = Cold Induced Diuresis). Nicht nur zum Erhalt der Leistungsfähigkeit, sondern auch zur Prävention von Kälteschäden (rheologische Eigenschaften des Blutes) ist ein ausgeglichener Flüssigkeitshaushalt erforderlich.

    Die Angaben zum Flüssigkeitsbedarf in der Kälte variieren: Sie liegen zwischen 3 l/d (16) und bis zu 5 l/d (17). Die Menge hängt von der körperlichen Aktivität sowie der damit verbundenen Schweißentwicklung und auch von der Ventilation ab. Die Flüssigkeitsverluste über die Atmung werden oftmals unterschätzt: Sie allein können entsprechend der gesteigerten Ventilation bei schwerer körperlicher Arbeit und der geringen Wasserdampfbeladung der kalten Inspirationsluft bis zu 1,5 l/d ausmachen (18).

    Auch in der Kälte ist schon rechtzeitig, das heißt bereits vor dem möglicherweise verspätet einsetzenden Durstgefühl ausreichend zu trinken, um eine Euhydration zu sichern. Die ausreichende Flüssigkeitsaufnahme ist durch die Urinfarbe (je heller, desto besser) einfach kontrollierbar.

    Die Getränketemperatur sollte 25 – 30 °C nicht unterschreiten, da kältere Flüssigkeiten zu einer beachtlichen Abkühlung beitragen (19).

    Verhalten und Arbeitsorganisation in der Kälte

    Die wirkungsvollste Maßnahme zur Erhaltung von Gesundheit und Leistung besteht in der Kälte durch ein angepasstes Verhalten. Ist dieses in Notlagen, zum Beispiel Höhen- und Polarexpeditionen oder militärische Operationen, nicht möglich, so kann es in kurzer Zeit (< 60 min bis zu wenigen Stunden) zu lebensbedrohlichen oder auch letalen Hypothermien kommen.

    Ein angepasstes Verhalten muss nicht nur die unmittelbare Kälteeinwirkung, sondern auch die Windexposition insbesondere in Kombination mit Nässe minimieren. Wind erhöht die konvektive Entwärmung und verstärkt die Kältewirkung erheblich (wind chill effect). Die sogenannte Windkühl-Temperatur berücksichtigt diese Tatsache und setzt beispielsweise eine Lufttemperatur von - 10 °C und eine Windgeschwindigkeit von 30 km/h mit einer („gefühlten“) Äquivalenttemperatur von -20 °C gleich. Ein geeignetes Arbeitszeit-Pausenregime kann die Auswirkungen der Kälte reduzieren. Im zivilen Bereich werden bei niedrigen Umgebungstemperaturen (< -5 bis -18 °C) nach 90 min ununterbrochener Kälteexposition Aufwärmzeiten von 15 min empfohlen (20). Der Konsum von Genussmitteln beeinträchtigt die physiologische Steuerung der Vasomotorik und damit die Kältetoleranz. Die vasodilatatorischen Effekte des Alkohols erhöhen den Wärmeverlust während die vasokonstriktiven Wirkungen des Nikotins die wärmende Blutversorgung der Peripherie vermindert.

    Kälteschutz durch Bekleidung

    Eine angemessene Bekleidung ist unerlässlich. Sie muss mehrschichtig und die Isolation an die Klimabedingungen, die metabolische Wärmeentwicklung und das individuelle Temperaturempfinden variabel anpassbar sein. Geeignete Materialien leiten den Schweiß von der Haut bis an die Umgebung. Diese „Wirkkette“ muss von der Unterwäsche bis zur äußeren Bekleidungsschicht funktionieren, um die Bildung von „Kältebrücken“ durch Schweißspeicherung und Durchnässung der Kleidung zu vermeiden. Der Wärmeverlust über den Kopf wird häufig vernachlässigt. Er kann durch eine Kopfdeckung und gegebenenfalls durch eine zusätzliche Gesichtsmaske reduziert werden. Eine großzügig konfektionierte und variabel einstellbare Kapuze kann beide Bekleidungsstücke ersetzen.

     

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    Abb 4: Proband beim Schraubtest mit Fünffingerhandschuhen in der Klimakammer (Foto: BwZKrhs Koblenz. Laborabteilung IV)

     

    Aufgrund der hohen Gefährdung von Füßen und Händen hat die Entwicklung von geeigneten Schuhen und Handschuhen eine große präventivmedizinische Bedeutung. Dabei ist der Kälte- (und auch Nässeschutz) der Füße leichter zu realisieren. Bei längerer Immobilität und entsprechend niedriger metabolischer Wärmeentwicklung kann ein Überschuh den Kälteschutz einfach und effektiv verbessern.

    Schwieriger sind die Hände zu schützen, da die Fingerfertigkeit nur geringfügig beeinträchtigt werden darf. Sind Handschuhe zu dick, werden sie bei feinmanipulatorischen Tätigkeiten abgelegt. Dabei stellt die „Kontaktkälte“ eine besondere Gefährdung dar, denn schon eine kurze, ungeschützte Berührung (2 – 6 sec) von kaltem Aluminium oder Stahl (Oberflächentemperatur: - 15 °C) kann zu lokalen Kälteschäden der ungeschützten Haut führen (21).

    Hier ist eine funktionsbezogene Ausstattung, die gleichzeitig in Anpassung an unterschiedliche Tätigkeiten hoch variabel sein muss, zweckmäßig. Mehrschichtige Handschuhkonzepte mit einem dünnen („Kontakt-“) Handschuh, der auch beim Ablegen der äußeren Schichten noch Schutz vor Kontaktkälte bietet, sind hier gut geeignet. Ein wesentlicher Prüfpunkt bei der Handschuhentwicklung ist die Bestimmung der Einschränkung der Fingerfertigkeit durch Kälte oder durch zu dicke Handschuhe (22). Deshalb wurden verschiedene Methoden entwickelt, auf ihre Eignung überprüft und im Rahmen der NATO vorgestellt (23).

    Um die Einschränkungen durch Handschuhe zu erfassen, hat sich der Schraubtest (Abb 4) als eine leicht durchführbare Methode bewährt: Er wird mit beiden Händen im Stehen ausgeführt. Die praxisnahe Aufgabe besteht im Zusammendrehen von fünf Schrauben (M 10 x 50) und zugehörigen Muttern durch entsprechende Bohrungen einer Platte. Messkriterium ist die Zeitdauer bis zur erfolgreichen Beendigung der Arbeit.

    Die thermische Isolation von Handschuhen, aber auch von Schuhen und Socken, kann durch komplexe biophysikalische Modelle ermittelt werden. Eine derartige Einrichtung wurde unter Leitung des Wehrwissenschaftliches Instituts für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB) und mit Beteiligung der Koblenzer Einrichtung entwickelt. Sie wird für Bekleidungsentwicklungen genutzt (24) und vom WIWeB ständig optimiert.

    Schlussfolgerungen

    Je extremer eine Kälteexposition, desto bedeutungsvoller ist die Prävention zum Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Mit Blick auf die weltweiten Einsätze besteht bei der Festlegung geeigneter Maßnahmen und deren Anwendung in der militärischen Praxis insbesondere hinsichtlich der Akklimatisation noch großes Optimierungspotenzial. Bei gleichzeitig zurückgehender Abstützung auf wissenschaftliche Ressourcen des zivilen Bereichs wächst insofern die Bedeutung der Koblenzer Forschungseinrichtung auch auf dem Gebiet der Umweltergonomie und Bekleidung.

    In der NATO wird die Einschätzung über die Bedeutung der angewandten Klima- und Thermophysiologie geteilt und hat zur Einsetzung einer Research Task Group (Thermal Strain Management for Health and Performance Sustainment) geführt. Zu den Aufgaben des Gremiums, in dem auch die Koblenzer Forschungs- und Entwicklungseinrichtung mitarbeitet, gehören unter anderem die Personalauswahl für Kälteexpositionen, das Verhalten in Kälte, die Behandlung von Kälteerkrankungen sowie technische Möglichkeiten der Körpererwärmung.

    Literatur

    1. Aschoff J, Wever R: Kern und Schale im Wärmehaushalt des Menschen. Naturwiss. 1958; 45: 477-485 .
    2. Aschoff J: Temperaturregulation. In: Aschoff J, Günther B, Kramer K (Hrsg.).: Energiehaushalt und Temperaturregulation (Physiologie des Menschen, Bd. 2). München, Berlin, Wien 1971 .
    3. Thauer R: Circulatory adjustments to climatic requirements. In: Handbook of physiology. Section 2: Circulation. Washington 1965.
    4. Piekarski C: Störungen und Erkrankungen durch klimatische Einwirkungen. In: Kühn HA und Schirrmeister J (Hrsg.): Innere Medizin. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1982; 1131-1139 .
    5. Piekarski C: Klima. Klima und Leistung. In: BWB (Hrsg.): Handbuch der Ergonomie. Stand 1992; Bd. 2, Kapt. A 9.6.2 .
    6. Beebe GW, De Bakey ME: Battle casualities. Incidence, mortality, and logistic considerations. Springfield 1952 .
    7. Ridell DI: A practical guide to local cold injuries. J roy nav med serv 1986; 72: 20-25 .
    8. Fraps P: Kälteschäden während der Übungen des Heeres im I. Quartal 1985. Wehrmed. Mschr. 1985; 29: 469-481.
    9. Hillary E: Die Abenteuer meines Lebens. Der Himalaja und andere Herausforderungen. München: Ullstein 2001 .
    10. G 21 Kältearbeiten. In: DGUV (Hrsg.): Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen. Stuttgart: Gentner 2010 .
    11. Young AJ: Homeostatic responses to prolonged cold exposure: human cold acclimatisation. In: Fregly MJ and Blatteis CM (eds.) Handbook of Physiology, Section 4, Environmental Physiology. New York, Oxford: University Press 1996; 419-438 .
    12. Sawka MN, Castellani JW, Pandolf KB, Young AJ: Human adaptations to heat and cold Stress. RTO HFM Symposium on Blowing Hot and Cold: Protecting against climatic extremes. RTO-MP-076, 2001 .
    13. Hassi J, Mäkinen TM, Rintamäki H: Prediction and prevention of cold injuries. RTO-MP-HFM-126, 2005; KN-1 – KN1-10 .
    14. Burstein R, Coward AW, Askew WE et al.: Energy expenditure variations in soldiers performing military activities under cold and hot climate conditions. Military Medicine 1996; 161: 750-754 .
    15. AU (Allgemeiner Umdruck) 46/40 der Bundeswehr: Leitfaden für Ernährungsfragen in der Truppenarztpraxis. 1999 .
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    18. Murray R: Fluid needs in hot and cold environments. International Journal of Sport Nutrition 1995: S62-S73 .
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    20. DIN 33403 T5 (Ausgabe: 1997-01): Klima am Arbeitsplatz und in der Arbeitsumgebung – Teil 5: Ergonomische Gestaltung von Kältearbeitsplätzen.
    21. Geng Q, Holmér I, den Hartog E et al.: Temperature limit value for touching cold surfaces with the fingertip. Ann. Occup. Hyg. 2006; 50: 851-862 .
    22. Glitz KJ, Seibel U, Rohde U, Sievert A, Ridder D, Leyk D: Manuelle Einschränkungen durch Kälteexposition der Hände. Z. ARB. WISS 2008; 62: 257-265 .
    23. Glitz KJ, Seibel U, Rohde U, Gorges W, Sievert A, Leyk D: Assessment Methods for Restrictions in Manual Dexterity: Suitability for Exposure to the Cold. NATO HFM Symposium on Human Performance Enhancement for NATO Military Operation (Science, Technology and Ethics). RTO-MP-HFM-181, 2009; P-10 - P1-10 .
    24. Zimmermann C, Uedelhoven WH, Kurz B, Glitz KJ: Thermal comfort range of a military cold protective glove – database by thermophysiological simulation. Eur J Appl Physiol 2008; 104: 229-236.

    Fotos: Laborabteilung IV, Zentralinstitut des Sa nitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz

    Datum: 21.08.2012

    Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/2-3

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