14.05.2012 •

DIE VORGÄNGE AM 7. OKTOBER 2010 AUS DER SICHT DER PECC

Am 7. Oktober 2010 hatte die Bundeswehr ihren 44. Gefallenen, einen 26-jährigen Oberfeldwebel der Luftlandebrigade 31 aus Seedorf, in Afghanistan zu beklagen.

Er starb, als seine Einheit eine Zufahrtsstraße zu einer Brücke in der Nähe von Aka-Khel, nördlich von Pol-e Khomri (PEK) in der Provinz Baghlan sicherte, durch einen um 13:50 h (Ortszeit) durchgeführten Selbstmordanschlag. Bei diesem Anschlag gab es weitere Verletzte.

Der Stab des Regionalkommando Nord (RK Nord) unterhält in Mazar-e-Sharif eine Patient Evacuation Coordination Cell (PECC), die unter anderem die Aufgabe hat, transportpflichtige Patienten im Bereich RK Nord schnellstmöglich den behandelnden Ärzten zuzuführen. Dieser Bericht erläutert die Aufgaben, die Mittel und die Maßnahmen der PECC am Beispiel der oben geschilderten Ereignisse.

Die PECC, Ausstattung und Aufgaben

Die PECC als Verwundetenkoordinierungsstelle des RK Nord ist organisatorisch ein Teil des Stabes. Sie ist im Camp Marmal in Mazar-e- Sharif untergebracht und wird durch multinationales Personal besetzt. Dem Leiter PECC (Hauptmann/Stabsarzt bis Major/Oberstabsarzt) sind drei Schichtoffiziere (Leutnant bis Hauptmann) (1 x DEU, 1 x NOR, 1 x BEL) als Schichtführer unterstellt, von denen eine/r die Stellvertretung innehat. Als „Leitstellendisponenten“ sind sechs Unteroffiziere vorgesehen. Angegliedert, jedoch nicht direkter Bestandteil der PECC, waren ein US-Offizier und ein USMannschaftsdienstgrad, die primär für den Transport von US-Soldaten innerhalb Afghanistans und eine ggf. notwendige Repatriierung zuständig waren, allerdings mehr als einmal die Verbindung zu den US-Streitkräften darstellten.

Der deutsche Anteil der PECC wurde in 2010 durch den Sanitätseinsatzverband Mazar-e-Sharif gestellt, dem die Soldaten auch disziplinar unterstanden. Der Kommandeur SanEinsVbd war im 23. Einsatzkontingent zugleich Leitender Sanitätsoffizier (LSO) und Medical Adviser (MEDAD) des Kommandeur RK Nord. Aufgaben der PECC:

  • Koordination der bodengebundenen Rettungsmittel im Camp Marmal und der BLUE BOX (Sicherheitsbereich Camp Marmal), darunter auch Koordination der Rettungsmittel bei MASCAL (Massenanfall von Verwundeten)
  • Koordination der Luftrettungsmittel im Bereich RK Nord
  • Koordination der Repatriierung deutscher Soldaten i. d. R. STRATAIRMEDEVAC als Schnittstelle zum deutschen Inland (San- FüKdo und EinsFüKdo)

Der DEU Verantwortungsbereich, das RK Nord, hat eine maximale Ausdehnung von ca. 390 km in Nord/Süd-Richtung und dehnt sich über bis zu 1200 km auf der Ost/West-Achse. Insgesamt sind ca. 162.000 km2 zu betreuen. Das RK Nord hat internationale Grenzen mit Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, China und Pakistan. Das Gebiet umfasst neun afghanische Provinzen, von Faryab im Westen bis nach Badakshan im Osten.

Im RK Nord sind ortsfeste Sanitätseinrichtungen der Role 1 (allgemeinmedizinische und truppenärztliche Versorgung) bis Role 3 (Einsatzlazarett) zur sanitätsdienstlichen Versorgung im Einsatzland vorhanden. Die PECC ist mit allen notwendigen Kommunikationsmöglichkeiten ausgestattet. Offene und gesicherte Telefonverbindungen über mehrere verschiedene Netze, darunter auch Mobilfunkgeräte nationaler Anbieter (Roshan) und Iridiumtelefone, Funkverbindungen sowie Netzverbindungen in das ISAF und das deutsche Militärnetz. Das JCHAT-System, ein ISAF-weit eingesetztes computergestütztes Kommunikationssystem, dient zur Informationsweitergabe zwischen den Truppenteilen und der Operationszentrale des RK Nord. Es wurde auch als Führungsmittel zum Einsatz der US-Rettungshubschrauber eingesetzt. Sowohl die Erkenntnisse der verschiedenen Führungsgrundgebiete als auch die Truppen- und Flugbewegungen ließen sich im Chat nachvollziehen. Starts („Wheels Up“) und Landungen („Wheels Down“) der eingesetzten Luftrettungsmittel ließen sich über die Eintragungen im Chat verfolgen.

Die wichtigsten Ansprechpartner innerhalb des Camp Marmal (z. B. Fliegerarzt, LSO/MEDAD, Klinikdirektor, …) waren über das Führungsmittel Tetrapol an die PECC angebunden. Aufgrund der hohen Anzahl der auf die Tetrapol-Anlage aufgeschalteten Geräte, war nebenstehender Anblick deshalb keine Seltenheit.

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Abb. 1: Personelle Ausstattung und disziplinare Unterstellung der PECC

Rettungsmittel

Für den qualifizierten Verwundetentransport wurden durch die PECC sowohl bodengebundene Rettungsmittel als auch Luftrettungsfahrzeuge koordiniert. Die bodengebundenen Rettungsmittel Transportpanzer Fuchs und geschütztes Verwundetentransportfahrzeug YAK wurden durch die beweglichen Sanitätskräfte während der Begleitung deutscher Kräfte bei Aufträgen außerhalb des Camp Marmal eingesetzt. Innerhalb des Camps wurde für Patiententransporte der Krankenkraftwagen 2t eingesetzt. Verglichen mit dem zivilen Rettungsdienst in Deutschland wurde „ILSE“, so der Spitzname des Fahrzeugs, koordiniert durch die PECC, sowohl in der Funktion Rettungswagen als auch in der Verwendung als Krankentransport eingesetzt. Bei Patienten, die eine ärztliche Versorgung benötigten, kam ein beweglicher Arzt Trupp, auf 2 to oder YAK Basis zum Einsatz.

Die Bundeswehr setzt in Afghanistan als Luftrettungsmittel den Hubschrauber CH53G MedEvac und die C-160 Transall MedEvac ein. Der Einsatz dieser Luftrettungsmittel erfolgte gewöhnlich im Sekundäreinsatz, d. h. für den Patiententransport zwischen den Sanitätseinrichtungen. Primäres Luftrettungsmittel, d. h. für den Patiententransport vom Notfallort in eine medizinische Versorgungseinrichtung, waren die durch die US 4th Combat Aviation Brigade “Iron Eagles” (4th CAB), Task Force „Mustang“, bereitgestellten Black Hawk Hubschrauber in der Version HH- 60Q. Ferner stand noch eine norwegische BELL 412 zur Verfügung.

Bei der Entscheidung, welche und wie viele Rettungsmittel zum Einsatz kommen, werden durch die PECC folgende Parameter bewertet:

- Der Zustand des/der Patienten (Kategorisierung nach Transportpriorität gemäß den NATO Vorgaben):

  • Kategorie A (CAT A - Urgent): Patient muss einer santitätsdienstlichen Versorgungeinrichtung (Role 2 oder Role 3) innerhalb von 60 Minuten nach Eingang der Meldung (9-Liner) in der PECC zugeführt werden.
  • Kategorie B (CAT B – Priority): Patient muss einer santitätsdienstlichen Versorgungeinrichtung (R 2 oder R 3) innerhalb von 4 h nach Eingang der Meldung (9- Liner) in der PECC zugeführt werden.
  • Kategorie C (CAT C – Routine): Patient muss einer santitätsdienstlichen Versorgungeinrichtung (R 2 oder R 3) innerhalb von 24 h nach Eingang der Meldung (9- Liner) in der PECC zugeführt werden.

- Die Anzahl des/der Patienten.
- Die Nähe zu den/dem Patienten.
- Die Ausstattung des Rettungsmittels (Eignung).
- Wetterbedingungen.
- Bedingungen an der Landezone.
- Andere laufende Missionen, die durch den Abzug der Rettungsmittel gefährdet werden könnten.

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Abb. 2: Anzeige Tetrapol

7. Oktober 2010

Am Beispiel des Anschlages vom 7.Oktober 2010 sollen im folgendem die Arbeitsabläufe der PECC genauer erläutert werden. Der Anschlag an der Brücke bei Aka-Khel, nördlich PEK in der Provinz Baghlan geschah um 13:50 h (Ortszeit D* = MEZ + 3,5 Stunden). Er wurde begleitet durch einen mehrere Stunden andauernden Angriff mit Mörsern und Handfeuerwaffen, der erst bei Einbrechen der Dunkelheit beendet wurde. Obwohl das Fahrzeug durch den Anschlag in Mitleidenschaft gezogen wurde, hat die Besatzung des begleitenden BAT die medizinische Erstversorgung der Patienten ohne Einschränkungen übernehmen können. Bis zum Eintreffen der Rettungshubschrauber waren trotz des andauernden Beschusses durch die angreifenden Kräfte alle Patienten behandelt und deren Transportfähigkeit hergestellt.

Die Alarmierung der PECC erfolgte vier Minuten nach dem Anschlag durch einen Melder der Operationszentrale RK Nord (CJOC). Dieser traf um 13:54 h mit folgender Nachricht in der PECC ein: „Suicide Attack in the triangle. 13 wounded German Soldiers. 2 CAT B, all the rest CAT A”.

Sofort wurden die Sanitätseinrichtungen in Kunduz, das ungarische Tactical Operation Center (TOC) in Pol-e Khomri, der stellvertretende Kommandeur des Sanitätseinsatzverbandes und der LSO/MEDAD über den Anschlag in Kenntnis gesetzt. Der LSO traf acht Minuten nach Alarmierung in der PECC ein und übernahm die Leitung des Rettungseinsatzes.

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Abb. 3: "ILSE" KrKw 2t im Camp Marmal

Um 13:56 h wurde die initiale Meldung der CJOC bezüglich der Zahl der Verwundeten korrigiert. Nunmehr war von einem Patienten CAT A, zwei Patienten CAT B und einem Patienten CAT C die Rede. Einige Minuten später wurde die Anzahl der Verwundeten nochmals korrigiert, auf drei Patienten CAT A.

Kurze Zeit nach der Meldung des Anschlages erschien der Executive Officer, (Chef des Stabes des deutschen Einsatzkontingentes) in der PECC und ließ sich über den Zustand der Verwundeten informieren. 14:09 Uhr erreichte der sogenannte 9-Liner, die standardisierte Meldung zur Anforderung von Medical Evacuation (qualifizierter Verwundetentransport), die PECC. Bereits 90 Sekunden später wurde der Einsatzauftrag für die zu erfolgende Rettungsmission an die in Kunduz stationierten Rettungsmittel weitergeleitet.

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Abb. 4: 9-Liner MedEvac Request

In diesem Fall wurden vier in Kunduz stationierte Black Hawks in Marsch gesetzt, die bereits sieben Minuten später „Wheels Up“ meldeten. Der Auftrag lautete, die drei CAT A-Patienten zu retten und zur Erstversorgung in die Role 2 (Forward surgical team) der USStreitkräfte in Pol-e Khomri zu verbringen. Die Landung vor Ort erfolgte nach 18 Minuten Flugzeit. Unmittelbar nach der Landung wurde durch die Kräfte vor Ort die aktuelle Anzahl der zu transportieren Patienten mit sieben beziffert („in this moment 7 WIA are reported“). Um 14:52 h wurden alle Verwundeten vom erstbehandelnden BAT-Arzt an die Hubschrauberbesatzung übergeben, von dieser nach PEK geflogen und dort um 14:55 h den US-Sanitätskräften übergeben. Um 14:57 h verließen alle Hubschrauber Pol-e Khomri und flogen zurück nach Kunduz – mit an Bord war der Leichnam des gefallenen deutschen Soldaten, wie die TF Mustang der PECC unmittelbar nach Abflug über JCHAT mitteilte. Der Kommandeur RK Nord und der Leitende Sanitätsoffizier des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Potsdam-Schwielowsee wurden, durch die PECC, über die Vorkommnisse und aktuelle Lage der verwundeten Soldaten informiert.

Nachdem die Entscheidung zur initialen Erstversorgung in der US Role 2 in Pol-e Khomri gefallen war, wurde durch die PECC begonnen den Sekundärtransport der Patienten von der Role 2 in Pol-e Khomri in das Einsatzlazarett (Role 3) nach Mazar-e-Sharif (MES) zu organisieren. Noch vor der Landung der US Black Hawks am Einsatzort in Aka-Khel wurde das deutsche Einsatzgeschwader im Camp Marmal aufgefordert, sich auf eine Weiterverlegung der Verwundeten vorzubereiten. Da die Role 2 in Pol-e Khomri nicht über eine Landebahn verfügt, war in diesem Fall nur der Einsatz der CH53G MedEvac möglich. Um 15:01 h wurde die PECC informiert, dass der Abflug vorbereitet werde.

Exakt 30 Minuten danach wurde für die CH53G MedEvac und ihre Begleitmaschine „Take off“ gemeldet. Nach der Ankunft in Pol-e Khomri wurden die Patienten durch den begleitenden Notfallmediziner der CH53G MedEvac zur Organisation der Verlegung begutachtet. An das Einsatzgeschwader in MES wurde gemeldet, dass der Rückflug mit drei Patienten (1x CAT A, 2x CAT C) angetreten werde, der CAT A Patient sei beatmet. Zur Vorbereitung des Transportes der Verwundeten vom Flugfeld Masar-e-Sharif und der anschließenden Aufnahme der Patienten im Einsatzlazarett wurden der Kompaniechef der MedEvac Kompanie und der Klinische Direktor (KD) des Einsatzlazarettes über die Ereignisse, Anzahl und Zustand der Verletzten informiert.

Um 18:45 h landete die CH53G MedEvac wieder in MES. Die Patienten wurden auf dem Flugfeld übernommen und um 19:02 h dem Personal der Klinik übergeben. Damit war der Vorgang für die PECC offiziell abgeschlossen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die internationale sanitätsdienstliche Zusammenarbeit sich positiv und sehr zum Vorteil der Patienten auswirkt. Die durch die einzelnen Nationen vorgehaltenen Fähigkeiten ergänzen sich, ergeben Synergien und bewirken im Resultat eine sehr gute medizinische Versorgung der eingesetzten ISAF-Kräfte, die im Ergebnis der Versorgung im Heimatland gleichzusetzen ist.

Der Autor dankt Herrn Oberstarzt Dr. med Dirk Densow für die Hinweise und Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels und dem Einsatzführungskommando PIZ/JMED für Beratung und kooperative Zusammenarbeit.

Datum: 14.05.2012

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2012/1

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