12.04.2011 •

    COCHLEA-IMPLANTATION BEI EINSEITIGER TAUBHEIT: SINGLE-SIDE-DEAFNESS (SSD)

    Aus der Abteilung V - Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde; Kopf- und Halschirurgie (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. R. Jacob) am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz (Chefarzt: Generalarzt Priv. Doz. Dr. G. Mager)

    von Yvonne Stelzig und Roland Jacob

    Zusammenfassung

    Hintergrund:

    Für ein qualitativ gutes Hören ist ein beidseitiges Hören notwendig.

    Eine einseitige Taubheit (Single Sideness Deathness, SSD) bedingt Einschränkungen, beispielsweise das Verstehen in lauter Umgebung oder das Richtungsgehör.

    Das Cochlea-Implantat (CI) ist Standardtherapie der beidseitig hochgradigen Schwerhörigkeit oder Taubheit. Gerade diese Patientengruppe zeigte einen hohen Leidensdruck vor allem im Hinblick auf ihre Diensttätigkeit und wies somit einen hohen Therapiewunsch auf. Die sehr guten Resultate bei dieser Patientengruppe führen zu der Annahme, dass auch SSD-Patienten hiervon profitieren könnten.

    Methoden:

    Seit 2005 wurden 6 Bundeswehrangehörige mit einer CI versorgt.

    Ergebnisse:

    Kurze Zeit nach der Erstanpassung war eine hohe Hörqualität im Vergleich zur gesunden Seite vorhanden. Nach etwa 3 Monaten hatten alle Patienten ein normales Sprachverständnis und Richtungsgehör.

    Schlussfolgerungen:

    Die Cochlea-Implantation ist ein wirkungsvolles Therapieverfahren zur Behandlung der SSD. Soldaten sind in besonderem Maße auf Richtungshören und Sprachverstehen in schwierigen Hörsituationen angewiesen und können mit dieser Therapie im Beruf bleiben.

    Cochlea-Implantation in Single-Side-Deafness

    Summary Background:

    Bilateral hearing is necessary for best hearing quality in human. Single sided deafness leads to substantial incapacities, esp. understanding speech in noisy surroundings or acoustic orientation.

    Methods:

    Treatment of deafness using cochlea implant is standard medical procedure, currently used in bilateral deafness or near deafness only. Good hearing results in cochlea implant patients suggest that there may be substantial benefit in unilateral deafness, too.

    Results:

    Since 2005, six patients, all members of the Bundeswehr, with single side deafness (SSD) were treated by cochlea implant. They showed a high psychological strain due to the deafness (job at risk) and a high motivation and cooperation with the CI treatment. After a short time the quality of hearing with the implant was similar to the opposite, unaffected side. All patients achieved almost normal speech understanding scores and acoustic orientation within three month of training.

    Conclusions:

    The cochlea implant is an interesting therapeutic option. Especially for soldiers with their special needs concerning hearing, this therapy enables them to stay in their profession.

    1. Einführung

    Das Cochlea-Implantat (CI) ist eine Innenohrprothese zur Therapie hochgradig schwerhöriger oder ertaubter Patienten. Über einen äußeren Sprachprozessor, der einem Hörgerät ähnlich sieht, werden Sprache oder Geräusche aufgenommen und in digitale Signale umgewandelt. Die Weiterleitung an das Implantat erfolgt über eine außen getragene Spule, die mit dem Implantat per Magnet in Kontakt steht. Das Implantat wandelt die Signale in elektrische Impulse um, verteilt sie auf die einzelnen Kontaktpaare der Elektrode und überträgt sie nachfolgend direkt auf die Nervenfasern (Abb 1). In Deutschland erfolgte schon 1984 die erste Cochlea-Implantation. Sie ist hier mittlerweile Standardtherapie der beidseitig hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit mit circa 2 000 Implantationen pro Jahr [1].

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    Abb 1: Cochlea-Implantat. Über den Sprachprozessor werden Sprache oder Geräusche digitalisiert, auf das Implantat übertragen und in elektrische Impulse umgewandelt. Die Impulse werden auf die Kontaktpaare der Elektrode verteilt und auf die Nervenfasern übertragen. Bild mit freundlicher Genehmigung der Firma MED-EL

    Voraussetzungen

    Um diese Therapieform erfolgreich anbieten zu können, bedarf es einer besonderen klinischen Expertise, die nur durch ein Team mit unterschiedlichen Professionen angeboten werden kann (HNO-Chirurg, Facharzt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Medizintechniker, Hörakustiker, Audiologen, Audiotherapeuten als zentraler Kern). Die Voruntersuchungen beinhalten detaillierte Hörprüfungen sowie eine Computer (CT)- und Magnetresonanztomographie (MRT) der Innenohrstrukturen. Die Operation dauert etwa eine Stunde. Etwa vier Wochen später erfolgen die Erstanpassung (Fitting) und parallel dazu eine Hörrehabilitation, damit sich der Patient an die neuen Höreindrücke adaptieren kann. Nach einigen Wochen bis Monaten, in denen das Implantat immer wieder neu programmiert wird und die Hörrehabilitation gleichzeitig durch Audiotherapie erfolgt, sind die Patienten in der Lage, nahezu normal zu hören. Es handelt sich somit um die einzige Prothese, mit der ein Sinnesorgan suffizient ersetzt werden kann.

    Die Gesamttherapie Cochlea-Implantation (Indikationsstellung, Voruntersuchungen, Operation, Fitting und Hörrehabilitation) findet im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz statt. Damit kann ein hoher Qualitätsstandard sicher gestellt, auf die besonderen gesundheitlichen Anforderungen von Soldaten eingegangen und dieses umfangreiche Therapieangebot an die besonderen Belange des soldatischen Umfeldes angepasst werden.

    Besonderheiten schwerhöriger Soldaten

    Anders als im zivilen Bereich muss bei schwerhörigen Soldaten aufgrund ihrer besonderen Diensttätigkeit die Indikation zur Cochlea-Implantation erweitert betrachtet werden. Unsere spezielle klinische Erfahrung in diesem Umfeld hat gezeigt, dass bei der einseitigen Ertaubung die bisherigen Therapieformen wie CROS-Hörgeräte (CROS: Contra-lateral routing of signal, das heißt, technische Überleitung des Schallsignals zur hörenden Seite) oder die CROSBAHA (BAHA: knochenverankertes Hörgerät) für Soldaten nicht ausreichend waren. Die CROS-Versorgung leitet mittels Mikrofon die Signale auf das gesunde Ohr über. Es handelt sich somit um einen akustischen Trick, der jedoch nicht das ertaubte Ohr rehabilitiert. Ähnlich wie im zivilen Bereich wird hier die CROSVersorgung häufig abgelehnt [2]. Im militärischen Bereich ist ein beidseitiges Hören jedoch unbedingt notwendig, da nur so ein Richtungsgehör und eine ausreichende Sprachdiskrimination in lauter Umgebung gewährleistet werden. Aus unserer Sicht konnte nur ein Cochlea-Implantat (CI) das Gehör von Patienten mit einer einseitigen Taubheit (Single Side Deathness, SSD) wieder herstellen, was jedoch eine sprunghafte Indikationserweiterung zur bisherigen darstellte und bisher noch nie durchgeführt wurde.

    2. Methoden

    Seit 2005 wurden 6 einseitig ertaubte Soldaten mit einem Cochlea-Implantat versorgt. Das durchschnittliche Alter betrug bei der Implantation 43 Jahre (29 bis 57 Jahre), die Ertaubungsdauer im Mittel 34,6 Monate (11 bis 96 Monate). In der Tabelle 1 ist das Patientenkollektiv zusammengestellt. Neben dem Dienstrang und der Ursache der Ertaubung ist die individuelle militärische Tätigkeit aufgeführt.

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    Tab 1. Dienstrang und Diensttätigkeit der Patienten sowie Alter und Ursache der Ertaubung

    Alle Patienten erhielten ein Cochlea-Implantat (Firma MED-EL, Standardelektrode). Vier Wochen nach Implantation führten wir die Erstanpassung und parallel dazu die Hörrehabilitation durch. In den folgenden Monaten wurden die Patienten regelmäßig fein gefittet und rehabilitiert.

    Das Fitting erfolgte nach den üblichen Standards. Das Hörtraining wurde modifiziert, indem die Übungstexte teilweise direkt über ein Audiokabel in den Sprachprozessor eingespielt wurden. So konnte das CI-Ohr trainiert werden ohne störende Wechselwirkung mit dem gesunden Ohr.

    Zur Ermittlung der Hörschwelle auf der CI-Seite wurde das gesunde Ohr mit einem Gehörschutz versehen sowie mit einem 80 dB-Breitbandrauschen über einen Kopfhörer vertäubt. Das Richtungsgehör wurde mit und ohne CI getestet. Hierbei wurden 19 Lautsprecher 180 Grad um den Patienten mit 9 Winkelgrade Abstand positioniert und das Hörvermögen mit Sprache und Rauschen getestet.

    3. Ergebnisse

    Schon nach der ersten Anpassung war bei allen Patienten ein Höreindruck vorhanden. Nach etwa drei Monaten hatten die Patienten eine durchschnittliche Hörschwelle (Aufblähkurve) von 30 bis 40 dB (Abb 2) und ein Sprachverständnis im Freiburger Einsilbertest von 80 % bei 65 dB.

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    Abb 2: Durchschnittliche Hörschwelle (Aufblähkurve) auf dem CI-Ohr. Vertikale Linie: Hörpegel in dB, horizontale Linie: gemessener Frequenzbereich.

     

    Das Richtungsgehör, exemplarisch in Abb 3 dargestellt, konnte ebenfalls wieder hergestellt werden. Erkennbar ist, dass ohne CI die Signale zur gesunden Seite gehört werden. Die rote Linie links oben markiert den Normalbefund eines beidseitig Hörenden.

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    Abb 3: In der Grafik oben links und rechts ist erkennbar, dass ohne Cochlea-Implantat (CI) Sprache und Rauschen auf das hörende Ohr lokalisiert werden. Die rote Linie in der oberen linken Grafik zeigt die Lokalisation eines Hörgesunden. Mit CI ist eine Lokalisation auf beiden Seiten möglich.

    Subjektiv beschrieben die Patienten, dass das Richtungsgehör vor dem Sprachverstehen kam. Die Integration der unterschiedlichen Hörqualitäten zwischen dem gesunden Ohr und dem CI-Ohr war erstaunlich gut. Die Patienten haben keine negative Beeinflussung durch das Cochlea-Implant bemerkt. So waren die Soldaten in ihrer Diensttätigkeit wieder voll belastbar, konnten größeren Konferenzen folgen, den Redner lokalisieren und auch in schwierigen akustischen Situationen Sprache gut verstehen (siehe Erfahrungsbericht im Anhang).

    4. Diskussion

    Das Cochlea-Implant ist ein etabliertes Therapieverfahren der beidseitig hochgradigen Schwerhörigkeit. Bei zivilen Patienten übernimmt die Krankenkasse die Kosten in der Regel für ein Ohr. Die SSD stellt eine erweiterte Indikation dar. Auch bei weiteren fünf zivilen Patienten, die von uns mit einem CI versorgt wurden, übernahm der gesetzliche Kostenträger die Behandlung. In den letzten Jahren hat sich bei beidseitig hochgradig schwerhörigen Patienten die beidseitige Cochlea-Implantation durchgesetzt. Bei Kindern ist sie fast zur Regelversorgung geworden [3-6]. Bei Erwachsenen wird jedoch häufig nur ein CI vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen genehmigt, das heißt, das andere Ohr weiterhin taub belassen. Aufgrund dessen klagten einige Patienten und forderten ihr Recht auf ein beidseitiges Hören ein. Den nachfolgenden Gerichtsurteilen müssen wir als medizinische Einrichtung im Sinne unserer Soldaten Rechnung tragen: 1. Urteil vom 03.11.2005 LSG NRW L16 KR 40/05:

    „...Solange hier ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig erreicht ist i. S. d. Gleichziehens mit einem gesunden Menschen, kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstand sei ausreichend...“.

    2. Urteil vom 08.12.2005 LSG FSB L 4 KR 6/05:

    „...Entgegen der Auffassung der Beklagten und in Übereinstimmung der Beigeladenen geht der Senat davon aus, dass nicht nur Hören, sondern beidseitiges Hören zu den Grundbedürfnissen zählt...“.

    Entsprechend diesen Urteilen ist die medizinische Indikationsstellung für ein Innenohrimplantat oder jedes andere implantierbare Hörsystem für jedes Ohr einzeln zu stellen.

    5. Schlussfolgerungen

    Wichtig ist der Hinweis, dass Hören ein Grundrecht ist. Hierdurch begründet sich die ethische Pflicht zur bestmöglichen Versorgung, frei von monetären Betrachtungen. Gerade in der gegenwärtigen gesundheitspolitischen Situation dürfen Grundrechte nicht verletzt werden.

    Für Bundeswehrangehörige kann man diese Betrachtung auch in der beruflichen Erweiterung sehen. Hören, einschließlich des Richtungshörens, ist für die große Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten entscheidend für ihre Auftragserfüllung und den Gesundheitsschutz, insbesondere im Einsatz. Hier ist der Sanitätsdienst besonders gefordert, nicht nur das Grundrecht des Hörens sondern auch die berufliche Entwicklung der Soldaten zu erhalten und zu fördern. So können Soldaten nach Explosionstraumen der Ohren in den folgenden Jahren eine hochgradige Schwerhörigkeit entwickeln, die eine Versorgung mit einem implantierbaren Hörsystem benötigt.

    Wir haben mit der Cochlea-Implantation einseitig ertaubten Soldaten ein beidseitiges Hören ermöglicht und deren volle Dienstfähigkeit wieder hergestellt. Die Rehabilitation des Hörvermögens muss an die speziellen Anforderungen des Soldaten und der Bundeswehr angepasst werden.

    Literatur:

    1. Lehnhard E Entwicklung des Cochlea-Implants und des Cochlear-Implant-Centrum in Hannover. Schnecke; Sonderausgabe zur EXPO: 2000; 6-7.
    2. Andersen HT, Schrøder SA, Bonding P: Unilateral deafness after acoustic neuroma surgery: subjective hearing handicap and the effect of the bone-anchored hearing aid. Otol Neurotol 2006; 27: 809-81.
    3. Das S, Buchman CA: Bilateral cochlea implantation: current concepts. Curr opin otolaryngol head neck surg 2005; 13: 290-293.
    4. Waltzman, SB: Cochlear implants: current status. Expert Rev Med Dev 2006; 3: 647-655.
    5. Schoen F, Mueller J, Helms J: Speech reception thresholds obtained in a symmetrical four-loudspeakers arrangement from bilateral users of Med-El cochlear implants. Otol Neurotol 2001; 23: 710-714.
    6.  Mueller J, Schoen F, Helms J: Speech understanding in quiet and noise in bilateral users of the Med-El COMBI 40/40+ cochlear implant system. Ear Hear 2002; 23: 198-206.

    Datum: 12.04.2011

    Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/1

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