13.01.2009 •

    PUBLIC HEALTH – SCHNITTSTELLE ZWISCHEN DER HUMAN- UND TIERMEDIZIN

    Den Auftrag der gesellschaftlichen Institutionen im Dienst der Öffentlichen Gesundheit beschreibt das US-amerikanische Institute of Medicine als „Bedingungen schaffen, in denen Menschen gesund sein können“ [IOM 1984, 2002]. Dieser verhältnisorientierte Ansatz bleibt nicht bei den klassischen Handlungsfeldern der Humanmedizin – ambulante und stationäre Versorgung, Rehabilitation und Pflege – stehen.

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    Der Auftrag berührt verschiedene naturgegebene und gesellschaftlich gestaltete Sphären, u. a. auch die klassischen Aufgabenfelder der Veterinärmedizin. Die Thematik Veterinary Public Health (Veterinärmedizin im Dienst der Öffentlichen Ge-sundheit) wurde in jüngerer Zeit sowohl aus humanmedizinischer wie auch aus veterinärmedizinischer Perspektive aufgegriffen [WHO 2002; Stewart et al. 2005; Zessin 2008].
    Historisch sind die Übergänge von Veterinär- und Humanmedizin teilweise fließend [Stewart et al. 2005]: Es ist kein Zufall, dass die ägyptische Göttin der Heilkunst (und des Krieges), Sachmet, mit einem Löwenkopf abgebildet wird. In vergleichbarem Sinn ist der Mythos von Asklepios zu verstehen, des griechischen Gottes der Heil-kunst, welcher von einem Zentauren (halb Pferd, halb Mensch) aufgezogen wird und der meist mit einer sich um einen Stab – Äskulapstab – ringelnden Schlange abgebildet wird. Was hier zum Ausdruck kommt, ist nicht „Folklore“ im oberflächlich verstandenen Sinn. Zum Tragen kommt vielmehr die mythologisch verarbeitete Einsicht in die Doppelnatur des Menschen: ein Wesen, welches sowohl von seiner (Evolutions-)biologischen Herkunft wie auch von seiner geistigen Ausrichtung getragen wird und dessen Gesundheit von beiden Sphären mitbestimmt wird.

    Jenseits dieser mythologisch-anthropologischen Betrachtung zum menschlichen Selbstverständnis bieten sich in der Gegenwart auch „handfeste“ Schnittstellen. Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit sind vor allem die ersten beiden und der letzte Punkt relevant:

    1. Zoonosen, vektorübertragene Krankheiten, (Re-)emerging Diseases
    2. Nahrungsmittelproduktion, Lebensmittelsicherheit und gesundheitsförderliche Ernährung
    3. Menschliches Wohlbefinden und die therapeutische Rolle von Tieren
    4. Ökosystem und Biodiversität

    Emerging und Reemerging Diseases, also neu bzw. erneut auftretende Infektions-krankheiten, liefern kontinuierlich aktuelle Beispiele für Schnittstellen zwischen Human- und Veterinärmedizin. Deren Erreger sind häufig den Zoonosen bzw. vektorübertragenen Krankheiten mit Wirtswechsel zuzuordnen, wie das Westnilvirus [Stewart et al. 2005], das Kuhpockenvirus, das SARS-Virus oder das Influenza-Virus.

    Andere Schnittstellen betreffen die menschliche Ernährung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Nahrungsmittelsicherheit, also der Sicherstellung einer ausreichenden Nahrungsmittelproduktion, der Lebensmittelsicherheit im Sinne der Unbedenklichkeit der zum Verzehr bestimmten Produkte und der Frage der gesundheitsförderlichen Ernährung. Beispiele für die Nahrungsmittelsicherheit betreffen den Schutz vor Tierseuchen in der tierischen Produktion, den Einsatz von Tieren als Zug-, Last- und sonstige Nutztiere sowie die Bedrohung von Ernten (Beispiel: Heuschrecken). Beispiele für Probleme der Lebensmittelsicherheit sind die BSE-Krise, die bei Geflügel- und Eiprodukten häufigen Salmonellenkontaminationen oder die Antibiotikagabe in der Tierfütterung. Beispiele für eine gesundheitsförderliche Ernährung sind probiotische Nahrungsmittel.

    Ein drittes Beispiel für Schnittstellen betrifft menschliches Wohlbefinden. Unser Ver-hältnis zu Tieren ist auch heute mit bestimmt durch deren Rolle als Begleiter in einer zivilisatorisch geprägten Umwelt. Zu „Pferd, Katze, Hund“ als klassischen Haustieren gesellen sich eine Vielzahl anderer, teilweise exotischer Tierarten. Pferde, Hunde, Esel oder Delphine können auch die Rollen von Kotherapeuten bei der Bewältigung psychosozialer Erkrankungen und Problemlagen (Autismus, antisoziales Verhalten) einnehmen – über die bekannte helfende Rolle des Blindenhundes oder Lawinen-Spürhundes hinaus.

    Eine vierte mögliche Schnittstelle betrifft die Rolle von Tieren als lebendigen Elementen eines gemeinsamen Ökosystems, einschließlich ihrer Bedeutung für die Biodiversität. Die Rolle im gemeinsamen Ökosystem reicht von Funktionen bei der pflanzlichen Nahrungsmittelproduktion (z.B. Bestäubung) über die vielfältigen Interaktionen tierischer Vektoren bei den Zoonosen, verstärkt auch unter dem Aspekt Klimawandel, bis zu häufig noch unverstandenen stabilisierenden Funktionen tierischen Lebens als Bestandteil von komplexen, sich selbst regulierenden Systemen. Der Erhalt der Biodiversität hat darüber hinaus große Bedeutung hinsichtlich der Identifikation und Produktion von pharmazeutischen Wirkstoffen (Beispiel: (Lebend-)Impfstoffe). Diese Aufzählung ist nicht abschließend.
    Was ist das Spezifische des Public Health-Ansatzes im Bemühen um die Bevölkerungsgesundheit? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Public Health/Öffentliche Gesundheit als die „Wissenschaft und Praxis der Krankheitsverhütung, Gesundheitsförderung und Lebensverlängerung durch organisierte gemeinschaftsbezogene Maßnahmen“. Diese Maßnahmen stehen dabei vor dem Anspruch wissenschaftlicher Evidenz einerseits und akzeptabler und praktisch durchführbarer sozialer Aktion andererseits. Der Handlungsrahmen solcher Maßnahmen hat sich in der Geschichte gewandelt bzw. entwickelt.
    Der ursprüngliche Fokus auf Infektionskrankheiten und Hygienemaßnahmen war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dominierend. Seine großen Erfolge sind im deutschen Sprachraum mit Namen wie Johann Peter Frank (1745 – 1821), Max von Pettenkofer (1818 – 1901) und Robert Koch (1843 – 1910) verbunden. Max von Petten-kofers Hygieneinstitut in München war das erste seiner Art und Modell für die modernen Schools of Public Health weltweit.

    Ergänzt wurde diese Hygienephase im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert im deutschen Sprachraum durch die zunehmende Organisation und solidarische Daseinsabsicherung über das System der Sozialversicherung. Hinzu kommt die sich entwickelnde Sozialmedizin. Die Fortschritte auf diesem Gebiet sind mit Namen wie Otto von Bismarck (1815 – 1898) bzw. Salomon Neumann (1819-1908) und Rudolf Virchow (1821 – 1902) verbunden. Von Virchow, weltweit bekannt als Begründer der Zellularpathologie, stammt der Ausspruch: „Medizin ist eine soziale Wissenschaft und Politik ist nichts anderes als Medizin im Großen!“ [Virchow 1848].

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    Gefolgt wurde die Hygienephase von der therapeutischen Phase der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum waren die Public Health-Maßnahmen geprägt von individualmedizinisch orientierten Interventionen wie Röntgenreihenuntersuchungen zur Tuberkulosekontrolle, Impfprogrammen wie der Schluckimpfung gegen Polio, der erfolgreichen weltweiten Ausrottung der Pocken sowie verschiedenen Screening- und Krankheits¬früherkennungs¬untersuchungen.
    Diese im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus erfolgreichen Ansätze wurden im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts ergänzt durch systemorientierte Ansätze. Diese werden als „New Public Health“ bzw. systemische Phase von Public Health bezeichnet. Hinter diesem Ansatz steht die Einsicht, dass Krankheiten nicht allein durch die Bekämpfung von Einzelursachen bzw. die erfolgreiche Früherkennung und Therapie bereits erkrankter Menschen „in den Griff“ zu bringen sind. Ein Beispiel dafür sind die teilweise erfolglosen Versuche der Verhinderung von nosokomialen Infektionen durch Antibiotika bzw. Antibiotikakombinationen. Ähnliche Problematiken finden sich bei nicht übertragbaren Krankheiten bzw. deren Risikofaktoren: kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebs als führende Todesursache resultieren aus einem komplexen Zusammenspiel von Übergewicht und Bewegungsmangel, von Fehlernährung, von mit Suchtverhalten assoziiertem Risikoverhalten (Alkohol, Tabak) und von gesundheitsschädlichen Einflüssen aus kollektiven Lebensumwelten (Settings, z. B. Gesundheitsrisiken am Arbeitsplatz, im Wohnumfeld, im Bereich der Freizeitgestaltung).

    In der Vergangenheit ist deutlich geworden, dass allein verhaltensorientierte Ansätze häufig erfolglos bleiben. Gesundheitsschutz und Prävention können selbst im Bereich der Individualmedizin oft erst durch systemorientierte Interventionen wirksam vorangebracht werden [Haynes et al. 2009]. Aus diesem Systembezug ergeben sich die zentralen Attribute von New Public Health: Interdisziplinarität hinsichtlich der beteiligten Wissenschaften, Multiprofessionalität hinsichtlich des im Bereich Öffentliche Gesundheit tätigen Personals und Bevölkerungsbezogenheit der Herangehensweise komplementär zum klassischen humanmedizinischen Individualbezug [Wildner et al. 2009].
    Die Weltgesundheitsorganisation hält als Definition von Veterinary Public Health fest [WHO 200]: „Veterinary Public Health ist ein wesentliches Teilgebiet von Public Health. Menschliche Gesundheit und menschliches Wohlbefinden stehen dabei im Mittelpunkt. Zum Bereich Veterinary Public Health gehören sämtliche Aktivitäten, Anstrengungen und Kenntnisse der Veterinärmedizin, die zur Sicherung, Förderung und Wiederherstellung der Gesundheit des Menschen dienen“.

    Die Herausforderungen sind vielfältig: Bevölkerungswachstum und Globalisierung, neue Technologien und antimikrobielle Resistenzen, Klimawandel, HIV/AIDS und (Re-)Emerging Diseases, neue Formen von Organisation und Management in ver-schiedenen gesellschaftlichen Prozessen. Letztere betreffen u.a. die intersektorale Kommunikation, die nationale und internationale Kommunikation, Monitoring und Surveillancesysteme der menschlichen und tierischen Gesundheit, das Risikomanagements und ökonomische Bewertungen. Die neuen Probleme einer globalen Gegenwart sind nicht lediglich eine Fortschreibung von kleinräumiger auf großräumiger Ebene: „nicht mehr die Lösung von Einzelproblemen, sondern das Management komplexer Zwangslagen steht im Vordergrund“ [Zessin 2008].
    Dafür ist ein neues, erweitertes Instrumentarium notwendig. Die Integration dieser Ansätze, Instrumente und Technologien stellt eine doppelte Herausforderung: Auf der einen Seite die Herausforderung der Integration von Veterinärmedizin in die be-stehenden Public Health-Strukturen („one medicine approach“), auf der anderen Sei-te die Herausforderung der Integration von Public Health (-Fragestellungen, -Konzepten und -Methoden) in die Veterinärmedizin.

    Die erste Herausforderung, die Integration der Veterinärmedizin mit den humanmedizinischen Public Health-Strukturen, wird auf EU-, Bundes- und Länderebene diskutiert (s.a. Zoonosen-Überwachungsrichtlinie 2003/99/EG). Die zweite Herausforderung wurde an den Tiermedizinischen Hochschulen in Hannover, Berlin und Leipzig aufgegriffen. An der Tiermedizinischen Hochschule Hannover findet sich mittlerweile ein Collaborating Center der Weltgesundheitsorganisation (www.veterinary-public-health.de). Auf europäischer Ebene wird vom European College of Veterinary Public Health (ECVPH) eine Weiterbildungs- bzw. Fortbildungsstruktur angeboten (www.ecvph.org).

    In der Humanmedizin wird an den beiden großen Weiterbildungsstandorten für Fachärzte im Öffentlichen Gesundheitswesen, Düsseldorf und München, eine Integration mit den dortigen Public Health-Studiengängen vorangetrieben. Am Standort München ist der Amtsarztlehrgang in Gänze Bestandteil eines Masterstudiengangs Public Health mit Schwerpunkt Verwalten und Führen im Gesundheitswesen (Health Administration and Management). Auch am Standort Düsseldorf findet sich eine Vernetzung. Ob eine analoge Vernetzung auch für den Bereich der amtstierärztlichen Tätigkeit fruchtbar sein könnte, wäre zu prüfen. Die „a-priori“ – Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch. Eine auf Ebene eines Bundeslandes bestehende Kooperationsvereinbarung (Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und tierärztliche Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München) könnte z.B. auch dahingehend ausgefüllt werden. Entsprechende Entwicklungen in den teilweise internationalen Organisationsstrukturen der Verteidigung liegen nahe.
     

    Datum: 13.01.2009

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/1

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